"historische Antwort der Arbeitnehmerseite"

Daniela Cavallo bekräftigt Machtanspruch der Mitbestimmung bei VW

25.09.2024 | Betriebsratsvorsitzende in Grundsatzrede: Volkswagen gehört auch den Beschäftigten!

Gianna Leo

Florian Hirsch

Torsten Hasenpusch

Thorsten Gröger

Wolfsburg/Hannover – Im Ringen um den Kurs für Europas größten Autobauer hat der VW-Betriebsrat den Machtanspruch für die Mitbestimmung bei Volkswagen bekräftigt. Die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats, Daniela Cavallo, sagte am Mittwoch bei einer Kundgebung in Hannover zum Start der VW-Haustarifverhandlungen in einer Art Grundsatzrede: „Volkswagen gehört nicht allein den Aktionärinnen und Aktionären! Volkswagen gehört auch uns. Der Belegschaft. Und ja: VW gehört auch eindeutig der Mitbestimmung!“

Cavallo erinnerte an zweierlei: Die historischen Wurzeln des Konzerns, aber auch die jahrzehntelange Kompromissbereitschaft der Arbeitnehmerseite, stets wegweisend an der Krisenfestigkeit des Konzerns mitzuarbeiten. So war VW im Nationalsozialismus der 1930er Jahre mit 130 Millionen Reichsmark aufgebaut worden, die direkt aus dem enteigneten Vermögen der Gewerkschaften stammten. Später im Nachkriegsdeutschland klagte dann der Deutsche Gewerkschaftsbund nur deshalb nicht auf seine Eigentumsrechte an VW, weil die Rolle der Mitbestimmung bei dem Autobauer in beispiellos starkem Maße abgesichert wurde. Auch beim Börsengang von VW im Jahr 1960 hatte diese historische Wurzel Bestand, es entstand des VW-Gesetz.

Die Konzernbetriebsratsvorsitzende betonte: „130 Millionen Reichsmark entsprechen nach Angaben der Deutschen Bundesbank einer heutigen Kaufkraft von knapp 700 Millionen Euro. Mit einer durchschnittlichen Verzinsung hätte sich aus diesem Kapital, das die Nazis der Arbeiterbewegung damals geraubt hatten, über die Jahrzehnte längst ein Milliardenbetrag ergeben. Dieses Geld, unser Geld, steckt heute im VW-Konzern. Und deswegen ist klar: Bei Volkswagen wird niemals der Turbo-Kapitalismus Einzug halten. Sondern bei Volkswagen haben die abhängig Beschäftigten, ihre Familien und Standortregionen immer ein starkes Gewicht.“

Gleichzeitig betonte Daniela Cavallo aber genauso die seit Jahrzehnten gelebte Praxis bei Volkswagen, wonach auch die Arbeitnehmerseite aktiv an der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens mitarbeite. „Volkswagen gehört all denen, die tatkräftig mit anpacken, Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichermaßen und gleichberechtigt voranzubringen. Nicht das Eine auf Kosten des Anderen. Sondern miteinander und gemeinsam auf beiden Seiten der Medaille. Und auch ich ganz persönlich stehe dafür, dass Volkswagen nicht nur einseitig die Aktionäre reicher machen soll. Jetzt nicht. Morgen nicht. Und übermorgen auch nicht!“

Cavallo fasste zusammen: „Auch wir auf Arbeitnehmerseite haben eine Dividende. Unsere Dividende ist gute Arbeit, unsere Dividende ist sichere Beschäftigung und unsere Dividende ist das Generationenversprechen bei Volkswagen. Denn Volkswagen ist auch unser Unternehmen! Für diese Dividende, für diese ‚gute Arbeit‘, sind wir als Belegschaft bereit, uns aufzureiben für unser Volkswagen. Die berühmte Extrameile zu gehen. Motiviert von Kopf bis Fuß mit anzupacken, reinzuhauen und ranzuklotzen! Aber dafür braucht es die Gewissheit, dass auch Vorstand, Management und Kapitalseite unsere Seite der Medaille so akzeptieren, wie wir deren Seite.“

Die Gesamtbetriebsratsvorsitzende erläuterte Beispiele wie die Innovationsfonds, aus denen seit vielen Jahren inzwischen hunderte Millionen Euro in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens geflossen sind – finanziert über Entgeltverzicht der Belegschaft. Die habe sich nämlich angesichts einer stets moderaten Tarifpolitik nie über die Fläche der Metall- und Elektroindustrie hinaus am Erfolg des Konzerns bedient. Dieses Prinzip müsse nun, in wirtschaftlich problematischen Zeiten, auch andersherum greifen.

Cavallo rief die Verantwortlichen auf Arbeitgeber- und Kapitalseite dazu auf, sich weiter zu der bei VW bewährten kooperativen Konfliktbewältigung zu bekennen. Wie üblich, seien Betriebsrat und IG Metall auch in der aktuellen Haustarifrunde bereit, mögliche Kompromisslinien auszuloten. Wer dagegen – wie zuletzt der Vorstand – die Axt an die Wurzeln des Unternehmens lege, ernte den erbitterten Widerstand der Arbeitnehmer.

Das Fazit der Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzenden lautete: „Volkswagen ist auch unser Unternehmen. In guten Zeiten, aber im Zweifel dann halt erst recht auch in schlechten Zeiten! Das ist unsere Einstellung, unsere Haltung gegenüber Volkswagen. Unsere Einstellung ist auf Nachhaltigkeit angelegt, auf Langfristigkeit, und diese geht weit über die Laufzeiten hinaus, die auf den Arbeitsverträgen der Vorstandsmitglieder stehen. Und allen, die im Sinne dieser Haltung, unserer Haltung, mit aller Kraft an Volkswagen mitarbeiten, all denen gehört Volkswagen. So war das damals. So ist das heute. Und so wird es auch in Zukunft sein. Und diejenigen, die diese Haltung ablehnen, die können uns alle mal gestohlen bleiben!“

 

 

Cavallos Rede im Wortlaut ist hier herunterzuladen: LINK (0,1 MB)

 

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Vor Daniela Cavallo hatte sich Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall und Verhandlungsführer in der laufenden Haustarifrunde, zu Wort gemeldet. Er betonte in Anspielung auf den Nachnamen des VW-Kernmarken-Chefs Thomas Schäfer: „Ein guter Schäfer passt auf seine Schafe auf und hält sie zusammen. Volkswagens Schäfer droht damit, ihnen das Fell vom Leib zu reißen und sie dann im Orkan vor die Tür zu setzen! Was das Management in den letzten Tagen präsentiert hat, das geht auf keine Kuhhaut! Jahrzehnte lang war eins klar: Bei Volkswagen werden die Probleme mit und nicht gegen die Beschäftigten gelöst! Es war klar, Standortschließungen und Massenentlassungen haben im Werkzeugkasten des Managements nichts, aber auch Garnichts zu suchen! Das war auch die Grundlade für die Erfolge und das muss auch so bleiben! Mit der Kündigung der Beschäftigungssicherung, von TarifPlus, der Übernahme der Auszubildenden und der Leiharbeit hat das Topmanagement auch den Weg der konstruktiven Zusammenarbeit gekündigt. Wir sagen aber auch klar: Wer Ängste sät und mit der Zukunft unserer Kolleginnen und Kollegen pokert, wird erbitterten Widerstand ernten!“

 

Nach Gröger und Cavallo sprach die Vorsitzende der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung, Gianna Leo, sowie die Spitzen der Vertrauenskörperleitungen aus den einzelnen Standorten.

 

Gianna Leo sagte: „Ich stehe hier heute nicht nur für knapp 4.000 junge Menschen, sondern auch für den zukünftigen Nachwuchs und damit für die Zukunft von Volkswagen. Heute geht es um mehr als nur Arbeitsplätze – es geht um Perspektiven, um Chancen und um die Gewissheit, dass wir weiterhin ein Teil dieses Unternehmens sind. (…) Volkswagen war für viele von uns nicht nur ein Job, sondern der Start in die Zukunft. Ein Ort, an dem wir lernen, wachsen und uns weiterentwickeln können. Aber was passiert gerade? Stellenabbau, Sparmaßnahmen, Unsicherheit. Das trifft nicht nur die, die schon lange dabei sind – es trifft auch uns, die grade erst anfangen.“

Dem Vorstand warf Gianna Leo vor: „Die VW-Führung scheint gerade den Rückwärtsgang als neuen Innovationsschritt entdeckt zu haben.“

 

 

Im Folgenden die einzelnen Kernaussagen der VKLer:innen auf der Bühne:

 

Florian Hirsch (Wolfsburg)

„Wir wollen endlich Antworten auf die Frage hören, mit welchen Konzepten und mit welchen Strategien der Vorstand aus der Krise will. Eine Krise, die wir Beschäftigten nicht zu verantworten haben. Sich kaputtzusparen ohne einen Angriffsplan: Das führt in eine Abwärtsspirale. Und die wollen wir nicht haben. (…) Ich kann den Vorstand daher nur im Namen all meiner Kolleginnen und Kollegen auffordern: Legt endlich einen Plan auf den Tisch, der nicht nur aus Sparen besteht!“

 

Torsten Hasenpusch (Emden)

„Unsere gesamte Belegschaft ist mächtig auf der Zinne! Oder wie man auf Platt bei uns sagt: Wi sünd Kantenmal! Steck een Aap in Anzug, blieft een Aap! Also: Wir sind alle echt auf 180, denn wir wissen: Was der Vorstand hier macht, ist ein Angriff auf uns alle, auf alle Standorte, auf alle Belegschaften, auf die gesamte Volkswagen-Familie. (…) Und wenn es sein muss, kommen wir aus allen Himmelsrichtungen nach Wolfsburg und wackeln mal ganz kräftig am Vorstands-Hochhaus!“

 

Andreas Matthias (Hannover)

„Wir sind hier heute mit hunderten Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Und wir haben praktisch gar nicht mobilisieren müssen dafür. Die Kolleginnen und Kollegen rennen uns die Bude ein uns fragen, wann es endlich losgeht, wann wir endlich rausgehen auf die Straße. Und das ist überhaupt kein Wunder! (…) Der Vorstand will die Kooperation mit Ford jetzt auch noch ausbauen! Unfassbar! Wir sind in Stöcken gerade mal gut zur Hälfte ausgelastet. Und dann will der Vorstand noch mehr zu Ford in die Türkei geben? Unglaublich. Wir haben echt so einen Hals!“

 

Anita Reul (Kassel)

„Durch den Abbau im Angestelltenbereich, durch Schlagworte wie Transformationskostenstelle und Perspektivwerkstatt, sind die Kolleginnen und Kollegen ohnehin schon schwer verunsichert. Jetzt mit der Kündigung des Zukunftstarifvertrags macht sich doch keiner freiwillig mehr auf den Weg der Veränderung. Denn man denkt dann doch, dass man der Nächste ist, der gekündigt werden könnte. Eines steht fest: So kann man keine Transformation gestalten!“

 

Jessica Knierim (Salzgitter)

„Das einzige Konzept, das wir hier derzeit erkennen, lautet Personalkosten schrubben, Leute rausschmeißen wollen und Standorte dichtmachen. Offensichtlich löst sich mit jeder weiteren Million Vorstandsvergütung der moralische Kompass immer weiter auf. Mir kommt da echt alles hoch. Keine Ideen, kein Konzept, keine Strategie – aber wie bei ‚Täglich grüßt das Murmeltier‘ immer wieder von den angeblich überhöhten Personalkosten reden. Da müsse man ran, dann werde alles gut. Das ist einfach nur lächerlich.“

 

Denis Klein (Zwickau)

„Ein Schlüsselerlebnis der letzten Wochen war ganz klar unsere ‚Betriebsratssprechstunde‘. (…) Wir haben mehrere tausend Kolleginnen und Kollegen zusammengetrommelt, um Herrn Schäfer gebührend am Standort zu begrüßen. Eine tobende Menge bildete ein Spalier, durch das Herr Schäfer ins Werk fahren musste. Das war für ihn ziemlich unbequem. Tja. Wer Tarifverträge und unsere Standort- und Beschäftigungssicherung angreift, bekommt halt die Quittung, die er verdient! Und das war erst der Anfang. Wir können noch viel länger! Und viel lauter! (…) Ihr da im Vorstand habt den Karren in den Dreck gefahren. Raus bekommt Ihr ihn nur mit uns. Also kommt zur Vernunft und macht endlich Eure Hausaufgaben!“

 

Martin Maatz (Dresden)

„Meine Schlüsselmoment die letzten Tag war der, als mich meine Familie gefragt hat: ‚Verlierst du bald deinen Arbeitsplatz? Wird die Manufaktur jetzt geschlossen?‘ Das ist ziemlich heftig, wenn man als Familienvater daheim vor solchen Fragen steht. Aber ich hatte etwas, was mit Zuversicht gegeben hat: Die Betriebsratsvorsitzenden der Werke haben alle kurz zuvor eine rote Linie gezogen. Und die lautete: Mit uns wird es keine Werksschließung geben! Egal wo! Diese klare Kampfansage und das Bewusstsein, wie stark wir als IGM@VW aufgestellt sind, das alles hat in mir eben nicht ein Gefühl der Angst entstehen lassen. Sondern viel eher Kampfgeist. Und so war dann auch meine Antwort an Frau und Kinder: ‚Nein, ich werde meinen Arbeitsplatz nicht verlieren. Wir sind als IG Metall so stark wie nirgendwo sonst und wir werden unsere Werke verteidigen, davon bin ich überzeugt! Der Vorstand wird es noch bereuen, diesen Konflikt angezettelt zu haben.‘“

 

Marion May (Braunschweig)

„Auch bei uns ist die Betroffenheit und Sorge groß. Ganz besonders ist mir ein Gespräch mit einem Kollegen in Erinnerung. Er erzählte mir von der Betriebsversammlung, in der vor rund 20 Jahren der damalige Markenvorstandschef Wolfgang Bernhard bei uns gesprochen hat. Und der wollte unser Werk verkaufen! Er wollte uns verkaufen! Für uns speziell in der Komponente war das die letzte große Krise. Aber wir haben gekämpft, dass wir nicht verkauft werden. (…) Und deshalb bin ich absolut sicher, dass uns das auch diesmal gelingen wird! Wenn wir zusammenstehen – Groß und Klein, VW AG und Töchter, Ost und West und Nord und Süd – dann kann uns keiner spalten und nichts aufhalten!“

 

Marcus Bensmann (Osnabrück)

„Ich erinnere mich noch gut, als bei uns in Osnabrück das erste Mal der Satz auf der Betriebsversammlung fiel: ‚Mit uns gibt es kein Karmann 2.0.‘ Viele Kolleginnen und Kollegen kennen die angedrohten Maßnahmen aus eigener Erfahrung durch das, womit wir am Standort konfrontiert waren. Wir haben vor 15 Jahren bei Karmann Massenentlassungen erlebt und es drohte die komplette Standortschließung. Nur ein Teil der Kollegen hat den Übergang zu VW geschafft. Und da waren jetzt die Erinnerungen an die Kolleginnen und Kollegen wieder sehr präsent, die wegen der Kündigungen von damals plötzlich nicht mehr da waren. Genauso wie die drohende Arbeitslosigkeit und die Existenzängste, die damit verbunden sind. Uns ist daher auch diesmal schnell klargeworden: Ab sofort ist wieder Kampf angesagt! Denn es darf kein Karmann 2.0 geben. Nicht in Osnabrück! Und auch nicht an irgendeinem anderen Standort von VW!“

 

Holger Neumann (Volkswagen Financial Services)

„Das, was der Vorstand hier abzieht, ist nicht nur eine Riesensauerei. Es ist auf der anderen Seite auch ein Konjunkturprogramm für unsere Mitbestimmung! Allein bei uns aus den Reihen der FS AG gibt es schon 150 Neuaufnahmen in die IG Metall! Und an anderen, größeren Standorten sind es noch viel mehr. Bei unserem hohen Orga-Grad ist ja nicht mehr ganz so viel Luft nach oben. Aber man muss feststellen: Der Vorstand treibt Hunderte Neumitglieder in unsere Gewerkschaftsreihen. Das soll uns Recht sein! Dann können unsere Neumitglieder gleich mal erleben, was es heißt, wenn wir dem Vorstand einen heißen Herbst bereiten!“

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