Holocaust-Zeitzeuge ist tot

Konzernbetriebsrat trauert um Marian Turski - Auschwitz-Überlebender stirbt mit 98

19.02.2025 | Daniela Cavallo: Turskis letzter Satz ist für uns ein Auftrag in Gegenwart und Zukunft

Marian Turski (am 27.01.2023).

Wolfsburg/Warschau - Der Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), Marian Turski, ist tot. Der Auschwitz-Überlebende starb am Dienstag im Alter von 98 Jahren in Warschau, wie das IAK mitteilte. Volkswagen und der Konzernbetriebsrat sind dem IAK und den Überlebenden von Auschwitz seit Jahrzehnten eng verbunden. Die maßgeblich von der Belegschaftsvertretung seit Ende der 1980er Jahre vorangetriebenen Auschwitz-Initiativen haben inzwischen tausende VW-Auszubildende und Führungskräfte zu leidenschaftlichen Multiplikatoren für das Thema Erinnerung und Verantwortung gemacht. Diese Arbeit war auch maßgeblich geprägt von regelmäßigen Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wie Marian Turski. Menschen wie er, die noch persönlich Zeugnis über den Holocaust ablegen können, werden nun immer weniger.

 

Turski hatte als einer von 56 Überlebenden bei der Gedenkstunde zu 80 Jahren Auschwitz-Befreiung am 27. Januar dieses Jahres noch anwesend sein können. Er hielt dort auch ein Grußwort. Eindrücke der Gedenkfeier mit vielen Staatsgästen finden sich in der Foto-Galerie dieses Artikels. 

 

Christoph Heubner, der geschäftsführende Vizepräsident des IAK, sagte am Dienstag in einer Würdigung Turskis:

"Bis in seine letzten Lebenstage hinein hat Marian Turski als Journalist und Zeitzeuge die politischen Entwicklungen mit zunehmender Sorge verfolgt. Er war bestürzt angesichts des europaweiten Aufflammens antisemitischer und rechtsextremer Ideologien und der rhetorischen Gewalt, mit der die Repräsentantinnen und Repräsentanten dieser Ideologien besonders junge Menschen zu radikalisieren versuchten. Nichts hat Marian Turski in den letzten Monaten seines Lebens so sehr umgetrieben wie der Satz des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi: `Es ist geschehen und es kann wieder geschehen.´ Und dennoch gehörte auch in diesen Tagen die Hoffnung zu seinem Lebensprinzip. Er vertraute trotz seiner Ängste darauf, dass auch seine Mitmenschen jenseits aller Angst und Hetze Wege zueinander finden würden."

 

Heubner betonte: "Ohne Marian Turski sind wir sehr allein. Umso mehr bleibt uns als eine seiner letzten Botschaften der letzte Satz, den er in seiner Rede anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz für die Gedenkfeier am 23. Januar in Berlin formulierte:

 

Wir geben unsere Erinnerungen, unsere Worte und unsere Stimme weiter. Unsere Tage, die der Überlebenden, sind gezählt: Aber wir werden nicht verstummen, wenn Sie, Sie alle nicht schweigen!!

 

Unsere Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo sagt: "Marian Turskis Tod macht uns sehr traurig. Umso wichtiger ist seine eindringliche Botschaft an uns: `Wir werden nicht verstummen, wenn Sie alle nicht schweigen!´ Und genau das ist jetzt unser Auftrag für Gegenwart und Zukunft: aufrecht zu stehen, Unrecht entgegenzutreten und das weiterzutragen, was wir aus unseren Begegnungen mit den Auschwitz-Überlebenden mitgenommen haben. Dafür stehen der Volkswagen-Konzern und seine Belegschaft seit Jahrzehnten ein - und wir werden darin kein Stück nachlassen."

 

Gunnar Kilian, Konzern-Personalvorstand und Träger der "Gabe der Erinnerung" der Auschwitz-Überlebenden, sagt: "Als Überlebender des Holocaust hat Marian Turski sein Leben dem Gedenken gewidmet und unzählige Menschen - auch bei Volkswagen - dazu inspiriert, niemals zu vergessen, sondern die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus und die Lehren daraus für ihre eigene Gegenwart und Zukunft lebendig zu halten. So war er Zeit seines Lebens ein Vorbild und er bleibt es über seinen Tod hinaus. Seine Stimme wird nicht verstummen. Sie lebt durch uns fort und wir tragen sie weiter. Wir verneigen uns vor Marian Turskis Lebenswerk und sehen uns aus dieser Überzeugung verpflichtet, seine Botschaft zu bewahren und für eine Zukunft weiterzugeben, in der Hass und Intoleranz keinen Platz haben, sondern vielmehr die mahnende Erinnerung an die Opfer des Holocaust weiter lebt."

 

2023, zum 78. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, war es auf Vermittlung von Christoph Heubner im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu einer sehr persönlichen Begegnung mit Turski gekommen, der seit Jahrzehnten auch als Autor und Journalist arbeitete. Turski sprach an dem historischen Ort der sogenannten "Sauna", wo die Nationalsozialisten damals im Vernichtungslager die Deportierten selektierten, mit Konzern-CEO Oliver Blume, Konzern-Personalvorstand Gunnar Kilian und Daniela Cavallo. Der IAK-Präsident schenkte den Dreien zum Ende des Gespräches eines seiner Bücher und signierte es mit kleinen Widmungen - knapp 80 Jahre, nachdem er Auschwitz praktisch wie durch ein Wunder überlebte.

Mehr zur “Sauna” findet sich hier in der Wikipedia.

Der Wortlaut der drei Widmungen (aus dem Englischen übersetzt) lautet wie folgt:

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Lieber Oliver Blume,
versetzen Sie sich mal 78 Jahre zurück. Und ich bin genau hier, aber in einer anderen Verfassung. Und noch heute bin ich jemand, der das Glück an seiner Seite weiß.
AUGURI [viele gute Wünsche].
Marian Turski
27.01.2023

 

Daniela, meine Liebe.
Was für ein Zufall - ich schreibe hier vor der Sauna in mein kleines Büchlein.
Danke.
Marian Turski
27.01.2023

 

Ich freue mich, Sie wieder einmal zu treffen, Herr Kilian.
Und wenn Sie jetzt meine bewegten Erinnerungen lesen, werden Sie verstehen, warum dieser Ort so berührend ist.
Marian Turski
27.01.2023

 

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Marian Turski wurde 1942 ins Ghetto von Łódź deportiert, von dort 1944 nach Auschwitz. Er überlebte 1945 den Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald. Als Turskis wohl wichtigste und weltweit beachtete Rede gilt die, die er am 27. Januar 2020 anlässlich des 75. Jahrestags der Auschwitz-Befreiung hielt. Turski widmete seine Worte damals der Generation seiner Enkelkinder und allen jungen Menschen. Er beschreibt darin den Weg, der nach Auschwitz geführt hatte, und schloss mit dem "elften" Gebot, das von Roman Kent, dem damaligen Präsidenten des IAK, formuliert wurde: "Seid nicht gleichgültig!". Die Rede steht hier im Wortlaut

 

Kent starb 2021, woraufhin Turski dessen Amt als IAK-Präsident übernahm.

Turskis komplette Rede für die Auschwitz-Gedenkfeier dieses Jahr in Berlin, die mit dem Satz endet "Wir werden nicht verstummen, wenn Sie, Sie alle nicht schweigen", ist hier in Gänze nachzulesen.

 

Das Internationale Auschwitz Komitee IAK ist ein Zusammenschluss von Auschwitz-Überlebenden und deren Organisationen aus 19 Ländern. Sein Sitz ist Berlin. Neben seiner Gedenk-, Bildungs- und Aufklärungsarbeit meldet sich das IAK auch regelmäßig zu tagespolitischen Anlässen zu Wort und macht mit Aktionen auf Themen aufmerksam.

 

Der Name Auschwitz gilt als Synonym für den Holocaust und Inbegriff des Bösen weltweit. Allein in Auschwitz brachten die Nazis mehr als eine Million Menschen um, vor allem Juden, aber auch andere Verfolgte wie Sinti und Roma, politische Gegner und Homosexuelle. Unter den in Auschwitz Ermordeten befanden sich hunderttausende Kinder.

 

Der Volkswagen-Konzern und das IAK arbeiten seit beinahe 40 Jahren zusammen für die Gedenkstättenarbeit in Auschwitz. Im Jahr 1987 – und damit noch vor Mauerfall und Wende – startete auf Initiative des Konzernbetriebsrates das erste gemeinsame Projekt in Auschwitz mit Auszubildenden von Volkswagen aus Deutschland. Seit 1989 führen die Projekte Auszubildende aus Deutschland und Polen gemeinsam in Auschwitz zusammen. Seit 2008/2009 sind auch Führungskräfte dabei, inklusive Meisterinnen und Meistern. Mehr über die Arbeit der Auszubildenden für die Gedenkstätte Auschwitz lässt sich hier nachlesen.

 

Zuletzt hatten sich auch vier VW-Auszubildende bei der Betriebsversammlung im Stammwerk zu Wort gemeldet und von ihren Eindrücken berichtet. Die Vier hatten die Ehre, Auschwitz-Überlebende am 27. Januar bei der Gedenkstunde zu begleiten und sie den Tag über zu unterstützen, zum Beispiel beim Abstellen der Trauerkerzen zum Ende der Gedenkfeier.

 

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