22.11.2024 | Tagestief von 79,86 Euro - Börsentrend bei Volkswagen hat sich seit Sommer 2021 vom DAX entkoppelt
Wolfsburg/Frankfurt am Main - Der Aktienkurs von Volkswagen hat am 22. November die symbolische Marke der 80 Euro unterschritten. Das Papier notierte am Vormittag kurzfristig bei 79,86 Euro und stieg danach wieder leicht an. Der Kurs der Vorzugs-Aktie (Erklärung zu diesem Begriff siehe unten) bewegt sich damit auf einem 14-Jahres-Tief. Im Herbst 2010 hatte sich das Papier aufgemacht, die Marke der 100 Euro zu nehmen und war seitdem praktisch immer über dieser Grenze geblieben, hatte in Spitzenzeiten sogar die 250 Euro überschritten. Nur die großen Krisen Dieselgate (2015) und der Beginn der Corona-Pandemie (2020, mit wochenlangen Produktionsstopps) hatten die Aktie in den Bereich der 80 Euro abstürzen lassen.
Dort, bei gut 80 Euro, dümpelt die Aktie nun auch aktuell und das schon seit Wochen. Fest steht: Der “Schwarze Montag” (02. September 2024), als der Vorstand Werksschließungen, Massenentlassungen und Tarifeinschnitte auf die Agenda gesetzt hatte, hat dem Kurs auch nicht geholfen. Im Gegenteil: Am 02. September notierte das Papier noch bei knapp unter 100 Euro und hat seither fast 20 Prozent eingebüßt.
Aber auch der längerfristige Trend ist besorgniserregend. Zwar entwickelten sich alle großen vergleichbaren Autowerte in den vergangenen Jahren negativ - aber keiner so dramatisch schlecht wie Volkswagen (siehe Grafik). Die sogenannte Marktkapitalisierung, also der Gesamtwert aller Anteilsscheine eines Unternehmens auf dem Markt, bewegt sich bei Volkswagen nur noch um und bei 40 Milliarden Euro. Das ist irre niedrig, vergegenwärtigt man sich folgende Fakten: In guten Zeiten benötigt der VW-Konzern nur ungefähr zwei Geschäftsjahre, um so viel Gewinn einzufahren wie der aktuelle Börsenwert des gesamten Unternehmens beträgt. Man könnte dazu sagen, dass Volkswagen halt einfach dramatisch unterbewertet ist. Aber Fakt bleibt: Die Börse ist immer ein Blick in die Zukunft. Der Kurs und dessen Entwicklung spiegeln wider: Was trauen Anlegerinnen und Anleger einem Unternehmen zu? Bei Volkswagen herrscht da am Markt derzeit offensichtlich wenig Phantasie. Ein bisschen vereinfacht gesagt ist der Sportwagenhersteller Porsche, mehrheitlich unter VW-Konzern-Dach, genau so viel wert wie der gesamte VW-Konzern. Zieht man Porsche also ab, ist Volkswagen als Gesamtkonzern nach Logik der Börse praktisch gar nichts wert - obwohl ja weltweit 120 Fabriken, unzählige Patente und jahrzehntelanges Know-how, legendäre Marken wie Audi und mit der Nutzfahrzeugsparte TRATON sogar noch ein weiteres börsennotiertes Unternehmen dazugehören. Und nicht zu vergessen: die beste Automobilhersteller-Belegschaft der Welt.
Kritisch ist auch, dass sich Volkswagen von der deutschen Börsen-Bundesliga DAX entkoppelt hat - und zwar ungefähr seit Sommer 2021. Ein solch prüfender Blick ist immer wichtig. Bei Volkswagen ergibt er leider: Der DAX ist in der jüngeren Vergangenheit mit Gewinnen unterwegs, doch Volkswagen als ein Teil des DAX macht es umgekehrt und rauscht nach unten. Und eben auch der Vergleich mit weiteren globalen Fahrzeugherstellern (siehe oben) wendet das Bild nicht. Volkswagen ist der Klassenschlechteste.
Woran liegt das jetzt?
Fest steht: Allen Volkswagen-Beschäftigten sollte der Trend zu denken geben. Auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick ganz lustig sein mag, dass Medien angesichts der hier skizzierten Entwicklung dem VW-Großaktionär Porsche/Piëch in den jüngsten Reichen-Rankings Überschriften verpassen wie “Warum die Börse die Porsches nicht mag”. Aber ein dauerhaft niedriger oder sogar sinkender Aktienkurs eines Arbeitgebers ist kein gutes Vorzeichen für dessen abhängig Beschäftigte.
Die Gründe für den Trend sind sicher vielfältig: Traut der Markt dem VW-Konzern nicht zu, die Elektro-Wende zu schaffen? Sind die Vorzeichen aus China (weltgrößter Automobilmarkt) und aus den bald wieder von Donald Trump regierten USA (zweitgrößter Markt) schlecht für Volkswagen? Überzeugt die Produkt-Pipeline die Analysten nicht? Ist die Frage der Schlüsselrolle Software im Konzern und wie das künftig läuft bei Volkswagen vielleicht noch nicht ausreichend konkret genug beantwortet? Muss sich der Konzern-Vorstand zu seinen Zielen womöglich generell noch besser erklären? Es gibt keine einfachen Antworten auf solche Fragen.
Aber eines, das dürfte ziemlich sicher feststehen: An der deutschen Belegschaft und ihren Arbeitskosten liegt es sicher nicht, dass die VW-Aktie auf 14-Jahres-Tief notiert.
Die Investor Relations (so heißen die Abteilungen börsennotierter Konzerne, sie sich um die Beziehungen zu Aktionären und Analysten kümmern) haben übrigens ein Tool, mit dem sich die Entwicklung des Börsenkurses ganz gut anschauen lässt:
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Info “Vorzugsaktien”:
Die Volkswagen AG hat eine Unterteilung in Vorzugsaktien (Vorzüge) und Stammaktien (Stämme).
Die „Vorzüge“ sind nicht stimmberechtigt, haben aber einen Dividendenvorteil (zuletzt 6 Cent).
An den „Stämmen“ (und nur an denen) hängt jedoch die Stimmberechtigung für die Hauptversammlung.
Die zahlenmäßige Verteilung der ausgegebenen Aktien schaut wie folgt aus (Stand 31.12.2023):
Vorzugsaktien: 206.205.445
Stammaktien: 295.089.818
Multipliziert mit dem jeweiligen Kurs und dann addiert ergibt sich Volkswagens Marktkapitalisierung.