VW will in WOB fast alle Nachtschichten streichen – Daniela macht Teilausgleich zur Bedingung

04.02.2022 | Im Stammwerk droht ein umfangreicher Entfall der Nachtschichten. Der Betriebsrat hat sich in einer Mitteilung an die Belegschaft dazu wie folgt geäußert.

Schichtentfall ab Ostern geplant, nur die ML4 soll weiter dreischichtig laufen

Die dramatische Unterauslastung des Stammwerkes hat nun auch spürbare Folgen für das bisherige Schichtsystem. Wie die Arbeitgeberseite dem Betriebsrat am heutigen Freitag in der sogenannten Arbeitszeitkommission mitteilte, will das Unternehmen nach Ostern sämtliche Nachtschichten an den Montagelinien 1 (Tiguan) sowie 2 und 3 (Golf) streichen. Lediglich die Montagelinie 4 (Tiguan, Touran, Tarraco) soll ihre Nachtschicht so wie bisher gewohnt behalten.

Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo dazu: „Wir haben diese Vorhaben des Unternehmens zur Kenntnis genommen. Das Thema ist hochgradig mitbestimmungspflichtig, es muss also mit uns Einigkeit über einen Kompromiss dazu her. Fest steht: Unsere Kolleginnen und Kollegen können nichts dafür, dass die Auftragsbücher überquellen, wir aber wegen des Halbleitermangels nicht auf die nötigen Stückzahlen kommen. Unsere Position als Betriebsrat und IG Metall steht daher felsenfest: Wir kämpfen für einen Teilausgleich. Fallen Nachtschichten und damit Zuschläge weg, muss der Entgeltverlust abgefedert werden. Etwas Anderes wird mit uns nicht zu machen sein.“

Cavallo kündigte an, dass die Konditionen eines solchen Ausgleichs bis Ostern verhandelt werden sollen. Sie rechne mit schwierigen Gesprächen dazu. „Die Zuschläge aus den Nachtschichten sind für viele Beschäftigte und deren Familien Teil der monatlichen Kalkulation. Es darf hier keine plötzlichen Einschnitte geben, uns geht es daher um ein Abfedern und Überbrücken. Besonders die Kolleginnen und Kollegen, die schon seit längerer Zeit in Nachtschicht arbeiten, müssen im Fokus stehen.“

Aus den Forderungen des Unternehmens ergeben sich viele Detailfragen, die in den kommenden Wochen verhandelt werden müssen. Geraten Schichtpläne in Bewegung, zieht das vieles nach sich. Die Fahrweise abzubilden, ist ein komplexes Thema. Die Gespräche werden sich daher mindestens noch über den Februar und März erstrecken.

Rückschau: Mit Blick auf den hartnäckigen Halbleitermangel hatte Arbeitsdirektor Gunnar Kilian noch im alten Jahr angekündigt: „Die bisherigen Fahrweisen der jüngeren Vergangenheit lassen sich aktuell nicht mehr darstellen. Daher gehört jetzt aus Unternehmenssicht auch eine Veränderung der Schichtmodelle auf die Agenda für unsere Gespräche mit der Arbeitnehmervertretung.“ Dazu hatte der Betriebsrat in seinen Kanälen früh informiert und im Januar gefordert, dass das Unternehmen zur Fahrweise endlich die Arbeitszeitkommission ansteuert und die Dinge beim Namen nennt.

Das erfolgte nun diesen Freitag. Demnach sieht die Arbeitgeberseite mit Blick auf die Produktion im laufenden Jahr nur noch die Nachtschicht an der ML4 als notwendig an. Diese Entscheidung steht vor dem Hintergrund eines aktuellen Jahresproduktionsziels von 570.000 Fahrzeugen für das Stammwerk, nachdem es vor einem Jahr, zum Start 2021, noch 200.000 Fahrzeuge mehr gewesen waren (knapp 800.000 Einheiten). Wie bekannt, führten Pandemie und Halbleitermangel dann aber zu wochenlanger Kurzarbeit, worauf in der Jahresbilanz 2021 nicht einmal 400.000 Fahrzeuge zusammenkamen. Laut Vorgabe aus dem Zukunftspakt hätte das Stammwerk zuletzt eine hohe sechsstellige Zahl an Fahrzeugen produzieren müssen (mindestens 820.000 Stück), laut Versprechen des Unternehmens aus dem Jahr 2018 hätte sogar das Millionenziel in den Fokus rücken müssen. Selbstverständlich ist für den Betriebsrat eine hohe sechsstellige Auslastung des Stammwerkes langfristig weiterhin das Ziel. Entsprechend hatte sich die Betriebsratsspitze schon im vergangenen Herbst positioniert. Daniela Cavallo thematisierte diesen Anspruch für das Stammwerk auch in ihrer Rede bei der Digitalen Belegschaftsinfo: "In Wolfsburg muss es die modernste Produktion geben, in der Effizienz und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen, und an deren Ende die größten Stückzahlen des Konzerns stehen."

Aktuell schaut es noch so aus: An der ML1 gibt es eine Normal- und eine Dauernachtschicht – als Teil des sogenannten Agilen Fahrzeugbaus. Die dazugehörige Protokollnotiz Nr. 10 der entsprechenden Betriebsvereinbarung hatte die Unternehmensseite noch 2021 aufgekündigt. Die Kündigungsfrist läuft bis Ende März, ab Ostern müsste also ein neues Modell zur Fahrweise her. An der ML2 (Golf) produzieren aktuell zwei Schichten, die allerdings im Drei-Schicht-System rollieren, also auch durch die Nachtschicht gehen. Die ML3 (Golf) und ML4 (Tiguan, Touran, Tarraco) laufen dreischichtig, also lückenlos mit Früh-, Spät- und Nachtschichten. Vor dem Hintergrund des einbrechenden Volumens hatte die Arbeitgeberseite noch im alten Jahr die Verträge von 491 Leiharbeitskräften aus dem Stammwerk auslaufen lassen.

Die Arbeitszeitkommission ist eines der wichtigsten Gremien, wenn es um betriebliche und tarifliche Regelungen geht. Sie ist paritätisch von Betriebsrats- und Unternehmensseite besetzt und wacht über die Interessen der Beschäftigten in allen Arbeitszeitfragen. Laut Betriebsverfassungsgesetz §87 hat der Betriebsrat über „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage“ mitzubestimmen – es sind also beide Seiten der Arbeitszeitkommission auf eine konstruktive Zusammenarbeit angewiesen.

Auch das Unternehmen äußerte sich am Freitag. Unter anderem sagte Arbeitsdirektor Gunnar Kilian: "Wolfsburg ist für die Zukunft des Konzerns von elementarer Bedeutung. Eine unserer strategischen Kernaufgaben ist es daher, den Standort weiter zukunftssicher auszurichten. Dafür brauchen wir Planungssicherheit für unser Stammwerk. Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten keine tragfähige Lösung. Um die Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten und Beschäftigung nachhaltig zu sichern, ist daher eine Anpassung unseres Schichtmodells unausweichlich. Dieser Schritt wird leider auch mit Einschnitten für die Belegschaft verbunden sein, wie dem Entfall der Erschwerniszulagen für die Nachtschicht. Dazu setzen wir in den kommenden Tagen unsere Gespräche mit dem Betriebsrat fort."