Schon 17 von 18 Fällen gewonnen

Arbeitsgericht spricht VWN-Betriebsratsvorsitzendem höhere Vergütung zu

18.10.2023 | Klare Tendenz: VW-Betriebsratsmitglieder gewinnen bisher 94 Prozent ihrer Klagen

Hier erging das Urteil: im Fachgerichtszentrum Hannover, wo auch das Arbeitsgericht seinen Platz hat.

Das Arbeitsgericht Hannover hat am Dienstag, 17. Oktober 2023, über die Vergütung des Betriebsratsvorsitzenden der Volkswagen Nutzfahrzeuge, Stavros Christidis, entschieden.

Das Urteil reiht sich ein in bisher 17 erfolgreiche Klagen gegen Entgelt-Reduzierungen bei Betriebsratsmitgliedern - auch solche aus dem Stammwerk sind darunter, aber auch aus Braunschweig, Emden, Kassel und Salzgitter.

 

Dazu hat der VW-Gesamtbetriebsrat folgende Pressemitteilung veröffentlicht:

 

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 Arbeitsgericht spricht VWN-Betriebsratsvorsitzendem höhere Vergütung zu

  • VW hatte Entgelt für Stavros Christidis wegen eines BGH-Urteils seit Februar 2023 reduziert
  • Arbeitsgericht weist Reduzierung nun als falsch zurück und legt rückwirkend eine Stufe drauf
  • Klare Bilanz: klagende VW-Betriebsratsmitglieder gewinnen bisher 94 Prozent ihrer Fälle
  • Schon in drei Fällen sprechen Kammern VW-Betriebsräten mehr Entgelt zu als die je hatten

 

Hannover/Wolfsburg – In den Urteilen der Arbeitsgerichte zu reduzierten Betriebsratsvergütungen bei Volkswagen setzt sich die klare Tendenz zugunsten der Arbeitnehmervertretung fort. Mit der jüngsten Entscheidung des Arbeitsgerichtes Hannover vom (gestrigen) Dienstag haben klagende VW-Betriebsratsmitglieder mittlerweile 17 von 18 Fällen gewonnen. Inzwischen gibt es Entscheidungen aus Braunschweig, Hannover, Emden und Kassel. Dabei ist der Tenor eindeutig: Einerseits ist die VW AG bei der Vergütung ihrer Betriebsratsmitglieder in der Vergangenheit korrekt vorgegangen – so urteilen es diverse Kammern der vier Arbeitsgerichte reihenweise übereinstimmend. Und diese Zwischenbilanz besagt eben auch: Dass VW etliche Vergütungen pauschal in Rücksicht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) von Anfang 2023 vorsorglich zurückdrehte, erscheint überzogen.

Das jüngste Urteil erging am Dienstag am Arbeitsgericht Hannover (Aktenzeichen 12 Ca 272/23). Geklagt hatte in diesem Fall der Betriebsratsvorsitzende der Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), Stavros Christidis, der seit rund zwanzig Jahren freigestelltes Mitglied der Arbeitnehmervertretung in Hannover-Stöcken ist. Die Volkswagen AG hatte ihn zuletzt im oberen Viertel des insgesamt 20 Stufen umfassenden VW-Haustarifvertrages vergütet. Mit Blick auf das strafrechtliche BGH-Urteil reduzierte VW ab Februar 2023 das Entgelt um sechs Tarifstufen auf die Mitte der Haustariftabelle.

Diese empfindliche Reduzierung entsprach einem monatlichen Brutto-Verlust von fast 2000 Euro. Die 12. Kammer unter Vorsitz der Richterin Laura Dyck führte nun aus, dass diese Herabstufung nicht rechtens war und auch mit Blick auf das BGH-Urteil und dessen strenge arbeitsrechtliche Auslegung nicht hätte erfolgen dürfen. Das Arbeitsgericht stellte aber nicht nur die frühere Entgeltstufe am Ende der Tariftabelle wieder her – sondern legte noch eine Stufe über das frühere Niveau drauf.

Es handelt sich damit bereits um den dritten Fall, bei dem die Arbeitsgerichte nicht nur per Urteil die frühere Vergütung wieder herstellten, sondern sogar feststellen, dass diese Vergütung früher schon hätte höher ausfallen müssen. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus, jedoch erläuterte die Vorsitzende Richterin Dyck die Entscheidung ihrer Kammer am Dienstag mündlich im Gericht.

Demnach legt das Urteil fest, dass Stavros Christidis bereits seit Mai 2022 eine um mehrere hundert Euro höhere Vergütung hätte erhalten müssen. Anstatt der seit Februar 2023 von Volkswagen vorgenommenen Reduzierung um sechs Stufen gibt es nun also eine Stufe mehr – rückwirkend seit Mai 2022. Sowohl diese eine seit Mai 2022 entgangene Vergütungsstufe als auch die seit Februar 2023 unrechtmäßig erfolgten Abzüge erhält der VWN-Betriebsratsvorsitzende nachträglich zurück. Und für die entgangenen Differenzen muss Volkswagen rund acht Prozent Verzinsung zahlen.

 

Details zum Anlass des Rechtsstreits:

Hintergrund des Streits vor Gericht ist die rechtliche Unsicherheit zum korrekten Vorgehen bei der Betriebsratsvergütung. Arbeits- und Strafrecht geben da neuerdings unterschiedliche Leitplanken. Anfang 2023 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Strafrechtsurteil (6 StR 133/22) zum Thema zu Wort gemeldet. In Reaktion darauf kürzte die Volkswagen AG all jenen VW-Betriebsratsmitgliedern die Vergütung, die zuvor mit einer sogenannten hypothetischen Nachzeichnung ihres Berufsweges mehr Entgelt erhalten hatten als ihre ursprüngliche Gruppe vergleichbarer Beschäftigter, mit denen sie vor der Betriebsratstätigkeit gearbeitet hatten.

Denn generell gibt es bundesweit zwei Methoden, Betriebsratsvergütung vorzunehmen: Entweder über die Gruppe vergleichbarer Beschäftigter. Dabei schwimmen die Betriebsratsmitglieder in der Entgeltbewegung derjenigen Kolleginnen und Kollegen mit, die in der alten Funktion auf der Unternehmensseite vergleichbar waren. Diese Methode kann jedoch an Grenzen stoßen und zu einer Benachteiligung führen. Dann greift unter Umständen die hypothetische Fortschreibung des Berufsweges. Hierzu gibt es bis hinauf zum fachlich zuständigen Bundesarbeitsgericht (BAG) umfangreiche Rechtsprechung, die jedoch mit dem BGH-Urteil unter neuen Vorzeichen steht. Denn inzwischen ist arbeitsrechtlich geboten, was ein strafrechtliches Risiko bedeuten kann. Seit langem schon fordern daher VW, Betriebsrat, Gewerkschaften und Fachleute gesetzliche Klarstellungen.

Aus den bisherigen Urteilsbegründungen der Arbeitsgerichte ist eine eindeutige Tendenz abzulesen. Demnach sehen die Kammern durchgehend, dass die einschlägige Rechtsprechung des BAG zur hypothetischen Karriere auch nach dem BGH-Urteil Bestand haben muss. So sei etwa insbesondere die hypothetisch fortgeschriebene Entgeltentwicklung zulässig, wenn sie darauf basiere, dass sich das Betriebsratsmitglied erwiesenermaßen bei einer konkreten Stellenausschreibung für Aufgaben auf der Unternehmensseite oder für ein ähnliches Angebot durchgesetzt hätte.

 

Reaktion des Betriebsrates auf das jüngste Urteil:

Der Sprecher des VW-Gesamtbetriebsrates bekräftigte auch nach dem Urteil zu Stavros Christidis:

„Die bisherigen Urteile machen zwei Dinge mehr als deutlich: Erstens ist es für inzwischen mehrere Kammern an vier unterschiedlichen Arbeitsgerichten klar, dass die sogenannte hypothetische Fortschreibung eines Berufsweges bei Betriebsratsmitgliedern grundsätzlich weiterhin möglich ist. Die BGH-Entscheidung hat hier also eben gerade nicht für neue Vorzeichen gesorgt. Diese Klarstellung ist wichtig, weil sie die Entgeltreduzierungen durch Volkswagen als das charakterisiert, was sie sind: eine reine Vorsichtsmaßnahme mit Blick auf das Strafrecht und eben kein Eingeständnis dafür, arbeitsrechtlich etwas überreizt zu haben. Zweitens gilt: Generell bleibt aber auch nach den vielen positiven Urteilen die rechtliche Unsicherheit für Unternehmen bundesweit. Arbeitsrechtlich ist etwas geboten, was gleichzeitig strafrechtlich im Risiko stehen kann. Der Gesetzgeber muss diesen Zustand mit einer Klarstellung beenden. Es kann nicht angehen, dass die Arbeitgeberseite die Betriebsratsvergütung im Zweifel nur noch mit Hilfe der Arbeitsgerichte festlegen will, indem sie sich verklagen lässt. Damit droht der Weg in die Mitbestimmung zur beruflichen Sackgasse zu werden. Das wäre deutschlandweit Gift für gute Betriebsratsarbeit, mit der sich die Belegschaftsvertretungen hierzulande täglich mit ganzer Kraft für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Die Politik muss die gesetzlichen Regelungen zur Betriebsratsvergütung also endlich präzisieren.“

 

Hinweis auf Vorschlag zur Gesetzesnovellierung:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte eine Kommission aus Fachleuten eingesetzt, die Vorschläge für eine gesetzliche Präzisierung der Betriebsratsvergütung entwickelt haben:
BMAS - Bericht der Kommission "Rechtssicherheit in der Betriebsrats­vergütung" vorgestellt