95 Prozent aller Erstinstanz-Fälle gewonnen

Betriebsratsvergütung: Landesarbeitsgericht bestätigt erste Instanz

08.02.2024 | Wolfsburger Betriebsrat gewinnt auch die Berufung – bisherige Urteilsbilanz lautet 40:2

Das Fachgerichtszentrum in Hannover beherbergt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, das jetzt die erste Entscheidung in Sachen Betriebsratsvergütung fällte.

Hannover/Wolfsburg – Im juristischen Streit um die Betriebsratsvergütung bei Volkswagen hat es erstmals ein Urteil in zweiter Instanz gegeben: Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen gewann ein Betriebsratsmitglied aus dem VW-Stammwerk am Donnerstag seinen Fall zum zweiten Mal, nachdem es sich im vergangenen Sommer am Arbeitsgericht Braunschweig bereits in erster Instanz durchgesetzt hatte. Volkswagen hatte damals nach der erstinstanzlichen Niederlage Berufung eingelegt, um mit einem Urteil aus zweiter Instanz noch mehr Rechtsicherheit zu erlangen.

 

In der ersten Instanz sind an den Arbeitsgerichten bisher 42 Entscheidungen gefallen. 40 Mal gewannen die Betriebsratsmitglieder. Nur 2 Fälle gingen verloren. Das macht 95 Prozent Gewinner-Quote. Insgesamt ist also inzwischen schon eine ganze Reihe an Klagen bei den Arbeitsgerichten erstinstanzlich entschieden, andere Fälle sind dort teils noch anhängig.

 

Nach Standorten der Betroffenen aufgeteilt lautet die Bilanz so:

gewonnen für die Betriebsratsmitglieder

Braunschweig:      3
Emden:                  5
Hannover:             4
Kassel:                   6
Salzgitter:            10
Wolfsburg:          12

 

verloren
Hannover:            2

 

 

Auslöser des juristischen Tauziehens ist die große Rechtsunsicherheit bei der Betriebsratsvergütung. Dafür hatte Anfang 2023 ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gesorgt. Der für Strafrecht zuständige BGH hatte nämlich neue, sehr hohe Hürden für eine besondere Konstellation in der Betriebsratsvergütung aufgestellt: Es geht dabei um die sogenannte hypothetische Karriere. Es ist ungewöhnlich, dass sich der BGH als Strafgericht um ein arbeitsrechtliches Feld kümmert – aber das Festlegen einer Betriebsratsvergütung kann einen Untreuetatbestand erfüllen, und das ist das Feld des Strafrechts.

 

Generell gibt es arbeitsrechtlich für mitbestimmte Unternehmen zwei Methoden, die Betriebsratsvergütung vorzunehmen: Entweder über die Gruppe sogenannter vergleichbarer Beschäftigter. Dabei schwimmen die Betriebsratsmitglieder gewissermaßen in der Entgeltbewegung derjenigen Kolleginnen und Kollegen mit, die in der alten Funktion auf der Unternehmensseite vergleichbar waren. Diese Methode kann jedoch an Grenzen stoßen und zu einer Benachteiligung führen – insbesondere, aber nicht nur bei langjährigen Betriebsratsmitgliedern. Dann greift unter Umständen die hypothetische Fortschreibung des Berufsweges. Hierzu gibt es bis hinauf zum Bundesarbeitsgericht (BAG) umfangreiche Rechtsprechung, die allerdings mit dem BGH-Urteil unter neuen Vorzeichen steht. Denn inzwischen ist arbeitsrechtlich erlaubt und geboten, was strafrechtlich ein Risiko bedeuten kann. Volkswagen, der Betriebsrat und Fachleute fordern daher seit langem eine Klarstellung durch den Gesetzgeber. Diese Klarstellung ist auch schon unterwegs und durchläuft derzeit Bundestag- und Bundesrat.

 

Im aktuellen Fall am Donnerstag im LAG in Hannover ging es um ein Betriebsratsmitglied, das schon seit mehr als 20 Jahren für die Arbeit in der Belegschaftsvertretung freigestellt ist. Volkswagen hatte das Betriebsratsmitglied zuletzt in der Entgeltstufe 20 des VW-Haustarifvertrages vergütet. Nach dem BGH-Urteil sah das Unternehmen eine derartige Unsicherheit gegeben, dass es die Vergütung um zwei Stufen auf die Entgeltstufe 18 heruntersetzte. Brutto macht das pro Monat etwa 700 Euro aus. Die Differenz forderte Volkswagen auch einige Monate rückwirkend zurück. So kam es also nicht nur zur Kürzung der Vergütung in dreistelliger Höhe, sondern auch zu einer Rückforderung in vierstelliger Höhe.

 

Für den Weg von Stufe 18 zur 20 hatte eine hypothetische Karriere gesorgt: Das Betriebsratsmitglied hatte ein konkretes Stellenangebot auf Unternehmensseite, vergütet mit Stufe 20, ausgeschlagen, weil es in der Belegschaftsvertretung bleiben wollte. Gerichtsfest nachweisbar war aber, dass das Betriebsratsmitglied die Stelle als eindeutig bester Kandidat erhalten hätte und sie nur nicht antrat, um in der Mitbestimmung zu bleiben. Die Vorsitzende Richterin der 6. Kammer am LAG, Frau Klausmeyer, machte am Donnerstag bei der Verhandlung klar, dass hier keine Zweifel bestünden. Und sie verteilte auch einen Seitenhieb in Richtung BGH, der sich mit seinem Urteil zur hypothetischen Karriere auf das Feld des Arbeitsrechts begeben hatte: „Der BGH machte da ja Ausführungen auf einer Wiese, auf der er sonst nicht so unterwegs ist.“

 

Mit ganz ähnlichen Argumenten wie jetzt auch das LAG hatte bereits das Arbeitsgericht Braunschweig die Reduzierung der Vergütung  im Juli 2023 als falsch zurückgewiesen und Volkswagen per Urteil verpflichtet, die ursprüngliche Vergütung in Stufe 20 wieder herzustellen sowie das einbehaltene Geld aus den Rückforderungen wieder zurückzuzahlen – und zwar verzinst. Das LAG bestätigte diese erstinstanzliche Sichtweise nun am Donnerstag in zweiter Instanz.

 

Ein Sprecher des VW-Betriebsrates äußerte sich nach dem Urteil folgendermaßen: „Selbstverständlich begrüßen wir diese erste Entscheidung durch ein Landesarbeitsgericht sehr. Bereits zahlreiche erstinstanzliche Urteile und nun auch die erste Berufung machen deutlich: Eine sogenannte hypothetische Karriere ist bei Betriebsratsmitgliedern grundsätzlich weiterhin möglich. Die BGH-Entscheidung hat hier also eben gerade nicht für neue Vorzeichen gesorgt. Diese jetzt auch von einem Landesarbeitsgericht getroffene Klarstellung ist wichtig, weil sie die Entgeltreduzierungen durch Volkswagen als das charakterisiert, was sie sind: eine reine Vorsichtsmaßnahme mit Blick auf das Strafrecht und eben kein Eingeständnis dafür, arbeitsrechtlich etwas falsch gemacht zu haben.“

 

Ergänzend gab der Sprecher aber zu bedenken: „Generell bleibt auch nach den vielen positiven Urteilen die rechtliche Unsicherheit für Unternehmen bundesweit. Arbeitsrechtlich ist etwas geboten, was gleichzeitig strafrechtlich im Risiko stehen kann. Daher ist es gut, dass die Politik inzwischen eine gesetzliche Klarstellung auf den Weg gebracht hat. Denn es kann nicht angehen, dass die Arbeitgeberseite die Betriebsratsvergütung im Zweifel nur noch mit Hilfe der Arbeitsgerichte festlegen will, indem sie sich verklagen lässt. Langfristig würde damit der Weg in die Mitbestimmung zur beruflichen Sackgasse werden. Das wäre deutschlandweit Gift für gute Betriebsratsarbeit, mit der sich die Belegschaftsvertretungen hierzulande täglich mit ganzer Kraft für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einsetzen.“

 

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INFO-KASTEN

Die Instanzen der Arbeitsgerichte

In der für die Betriebsratsvergütung zuständigen Arbeitsgerichtsbarkeit gibt es drei Instanzen: Über der regionalen Ebene der Arbeitsgerichte steht landesweit das Landesarbeitsgericht (LAG) und höchstrichterlich entscheidet dann bundesweit das Bundesarbeitsgericht (BAG). In den ersten beiden Instanzen entscheiden sogenannte Kammern. Sie bestehen aus einem Vorsitzenden Richter oder einer Vorsitzenden Richterin plus zwei Ehrenamtlichen, die aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber stammen. Beim BAG heißt es dann nicht Kammer, sondern Senat. Die Senate dort bestehen aus drei Hauptamtlichen (Vorsitz plus zweimal Beisitz) plus zwei Ehrenamtlichen, die wieder aufgeteilt sind nach arbeitgebernah und arbeitnehmernah. Mehr hier.