79 Jahre nach der Befreiung

Daniela Cavallo: Auschwitz-Gedenken ist Auftrag, Demokratie zu verteidigen

25.01.2024 | Feierstunde im Hallenbad mit Stadt, VW-Nachwuchs und Internationalem Auschwitz Komitee

Christoph Heubner und Daniela Cavallo 2023 in Auschwitz (rechts im Bild Burcu Sicilia). Alle Fotos: Kevin Nobs

Wolfsburg – Mit einem geschlossenen Aufruf gegen den Rechtspopulismus und für die Demokratie haben der Gesamtbetriebsrat und Volkswagen, die Stadt Wolfsburg, das Internationale Auschwitz Komitee sowie viele weitere Beteiligte an den Jahrestag der Auschwitz-Befreiung erinnert. Dafür versammelten sich rund 200 Gäste am Mittwoch im Kulturzentrum Hallenbad am Schachtweg in Wolfsburg. Diesen Samstag jährt sich die Auschwitz-Befreiung vom 27. Januar 1945 zum 79. Mal.

Eines der Grußworte im Hallenbad hielt Daniela Cavallo. Unsere Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende nahm mit ihrem Gesamtbetriebsausschuss – das ist die geschäftsführende Spitze des Gesamtbetriebsrates – an der Gedenkfeier teil. In ihrer Rede hob sie den jahrzehntelangen Einsatz von Volkswagen für das Auschwitz-Gedenken hervor. Tausende unserer Auszubildenden und Hunderte Führungskräfte sind schon in der Gedenkstätte unterwegs gewesen und haben sich intensiv mit den Themen Erinnerung und Verantwortung auseinandergesetzt. Die Teilnehmenden sprechen regelmäßig davon, dass die Erfahrungen in Auschwitz zu den prägendsten ihres Lebens gehören.

Daniela erzählte im Hallenbad von ihrem Treffen mit dem Auschwitz-Überlebenden Marian Turski vor einem Jahr. Sie betonte: „Wir haben den Auftrag, aufrecht zu stehen, die Demokratie zu verteidigen und Unrecht entgegenzutreten. Das sage ich, wenn ich an Auschwitz-Überlebende wie Marian Turski denke. Und umso begeisterter bin ich über die Bilder, die wir jüngst aus so vielen kleinen und großen Städten gesehen haben. Bei uns hier vor der Tür zum Beispiel in Braunschweig und in Hannover. Aber eigentlich quer durch die Republik. Übrigens gerade auch im Osten Deutschlands!“

Auch unsere Konzernbetriebsratsvorsitzende nahm in ihrer Rede Bezug zu den jüngsten Enthüllungen über das Treffen antidemokratischer, radikaler Kräfte in Potsdam. Dabei sinnierten AfD-Politiker, Neonazis und mögliche Geldgeber über die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland anhand rassistischer Kriterien. Auch das Aufdecken dieses Treffens durch das Recherchenetzwerk Correctiv hatte jüngst für den Zustrom Zehntausender Menschen zu den bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtspopulismus und für Demokratie gesorgt.

Zu den Demos sagte Daniela: „Das macht mich stolz. Es ist der Beweis: Wir sind mehr! Und wir stehen aufrecht, um unsere Demokratie zu verteidigen. Nie wieder ist jetzt! Mich haben diese Demonstrationen nicht nur tief berührt, weil der Hass der AfD auch auf meine Lebensgeschichte zielt, ich mich also persönlich betroffen fühle. Sondern vor allem, weil ich überzeugt bin, dass diese Demos einen Anstoß nicht nur gegen etwas, sondern vor allem auch für etwas geben. Nämlich gegenzuhalten und Position zu beziehen, wenn es drauf ankommt!“

Unsere Gesamtbetriebsratsvorsitzende ist Tochter italienischer Eltern und besitzt seit September 2021 neben der italienischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Vater war als sogenannter Gastarbeiter Ende der 1960er Jahre aus Süditalien zu Volkswagen gekommen, arbeitete später viele Jahre in Halle 54. Bei der Veranstaltung im Hallenbad sagte Daniela, dass das menschenverachtende Planungstreffen aus Potsdam – das die AfD-Führung eine „private Veranstaltung“ nennt – sie auch auf einer persönlichen Ebene anfasse: „Ich habe ausländische Wurzeln. Ich bin ein Einwanderer-Kind, ein Kind von Arbeits-Migranten. Ich bin Gewerkschafterin, IG Metallerin, eine glühende Demokratin. Und ich bin eine Frau. Die erste im Vorsitz des Konzernbetriebsrats. Mit dieser Mischung bin ich so ziemlich genau das, was die AfD hier in Deutschland nicht haben will. Eine wie mich würde die AfD sicherlich `re-migrieren´, um dieses perfide Wort einmal zu nutzen. Ich wäre in Deutschland nicht mehr willkommen, wenn die Pläne, über die man in Potsdam sprach, Wirklichkeit würden.“

Ihr Fazit war aber optimistisch: „Um die Rechtspopulisten zu stoppen, braucht es die Aktivität der Mehrheit. Und ich bin mir sicher: Mit den Bildern der Massen von Hamburg bis München vor Augen fällt es uns allen leichter, das zu tun. Im Alltag am Arbeitsplatz, im Sportverein, auf der Straße oder im Bus. Und daher macht es mich zwar traurig und wütend, was wir da von dem Geheimtreffen aus Potsdam gehört haben. Aber es macht mich auch stolz und zuversichtlich, was es ausgelöst hat mit den Demos – und wie sehr unsere Überzeugung für Demokratie uns eint.“

Neben Daniela sprachen bei der Veranstaltung im Hallenbad auch Christoph Heubner, geschäftsführender Vize-Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Wolfsburgs Oberbürgermeister Dennis Weilmann, der niedersächsische Wissenschafts- und Kulturminister sowie frühere Wolfsburger VW-Beschäftigte Falko Mohrs, Rabbiner Yakov Yosef Harety von der Orthodoxen Jüdischen Gemeinde zu Wolfsburg und Iris Bothe, die Stadträtin für Jugend, Bildung, Integration und Soziales.

Sarah Nonnenmacher, früher in unserer (Gesamt-) Jugend- und Auszubildendenvertretung aktiv und heute in der Konzern-Diversity, steuerte mehrere Lieder bei, das Tanzende Theater Wolfsburg trat auf, mehrere Wolfsburger Schülerinnen und Schüler standen mit Beiträgen auf der Bühne und auch Atakan Koçtürk vom Braunschweiger Stadtschülerrat, Oberkirchenrat Klaus Burckhardt sowie Dimitri Tukuser von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Wolfsburg – Region Braunschweig. Ines Doberanzke-Milnikel, zusammen mit Christoph Heubner der Motor hinter den Auschwitz-Projekten, moderierte den Abend. Im Foyer des Hallenbads informieren zudem Wolfsburger Initiativen über Gedenkkultur und zum Thema Demokratie.

Daniela schloss ihr Grußwort mit einem Zitat von Sara Frenkel: „Viele von Ihnen und Euch werden sie kennen. Frau Frenkel war Zwangsarbeiterin im Volkswagenwerk. Und 2018 hat sie in einem Interview mit unserer Betriebsrats-Zeitung das hier gesagt: ´Die Wahlerfolge von rechtsextremen Parteien, von den hohlköpfigen Populisten, die machen mir Sorgen, große Sorgen! Sie zeigen mir, wie brüchig unsere Gesellschaften und der menschliche Zusammenhalt sind. Sie suchen schon wieder nach Sündenböcken! Die Reichspogromnacht ist jetzt 80 Jahre her. Und das Schlimme ist: Ich war mir schon einmal sicherer, dass die Wahrscheinlichkeit kleiner ist, dass sich so etwas wiederholen kann. Ich bitte Euch: Wehret den Anfängen, indem Ihr Euch einmischt! Zeigt Gesicht, bezieht Position und bleibt nicht still und passiv. Behaltet Euer Mitgefühl für die Verfolgten, für die Geflüchteten, für die Schwächeren!´ Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht der bekannte Satz von Primo Levi: `Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.´ Dieser Satz ist keine Theorie für Gedenkstunden wie diese. Dieser Satz ist Auftrag für unseren Alltag! Es geht heute nicht mehr nur darum, dass wir niemals vergessen, was geschehen ist. Sondern es geht verstärkt darum, dass wir nicht vergessen, was wieder geschehen kann, wenn wir nicht wehrhaft genug sind. Denn die Wahrheit ist: Mit jedem Zentimeter mehr für den Rechtspopulismus rückt auch Auschwitz wieder ein Stück näher.“