Eröffnungsfeier mit Kanzleramtsminister

Gerhard Richters Bilder über Auschwitz-Birkenau bereichern jetzt die IJBS

10.02.2024 | Der Ausnahme-Künstler hat das Gebäude für seine Werke selbst entworfen

Auschwitz/Wolfsburg - Die Internationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS) in Auschwitz beherbergt neuerdings nicht weniger als eine künstlerische Sensation von Weltrang. Der Bilder-Zyklus „Birkenau“ des internationalen Ausnahme-Künstlers Gerhard Richter hat in der IJBS einen dauerhaften Ausstellungsplatz erhalten. Dafür ist auf dem IJBS-Gelände eigens eine Art Museums-Raum entstanden - den der Künstler persönlich entworfen hat. Das Projekt geht auf die Initiative des geschäftsführenden Vize-Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), Christoph Heubner, zurück. Er hatte 2020 Kontakt zu Gerhard Richter aufgenommen und dem Künstler vorgeschlagen, die Bilder nach Auschwitz zu bringen - in der Folge entstand dann ein Dialog über das mögliche Projekt bis hin zu dessen Verwirklichung nach Richters Vorstellungen.

 

Fragen und Antworten zu dem Superlativ:

 

 

Frage: Wer ist Gerhard Richter?
Antwort: In der internationalen Kunstszene kennt jeder den Namen Gerhard Richter. Seine Werke zählen zu den weltweit teuersten eines noch lebenden Künstlers. Erst vor wenigen Wochen, Ende 2023, ging ein abstraktes Motiv von Gerhard Richter im Auktionshaus Sotheby’s für 32 Millionen US-Dollar an einen neuen Besitzer. Und das war 2023 nicht der einzige Verkauf in dieser Größenordnung. Zudem sind diese hohen Preise kein junges Phänomen: Schon 2012 beispielsweise kam ein Motiv Richters bei Sotheby’s für 27 Millionen Euro unter den Auktionshammer. Richter, geboren 1932 in Dresden, begann seine offizielle Tätigkeit 1962, so dass sein Schaffen inzwischen viele Jahrzehnte umfasst. Richter floh 1961 aus der DDR und lebt heute in Köln. Sein internationaler Erfolg begann in den 1990er Jahren. Richter ist vor allem für seine abstrakte Malerei bekannt, zu seinem Werk zählen aber zum Beispiel auch Bildhauerei, Fotografie oder das Gestalten von Kirchenfenstern.

 

Frage: Was hat es mit seinem Werk „Birkenau“ auf sich?
Antwort: Das im heutigen Polen gelegene ehemalige nazi-deutsche Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau unterteilt sich in zwei wesentliche Gelände: Das Stammlager in Auschwitz (auch Auschwitz I genannt) und das Vernichtungslager Birkenau (Auschwitz II). Der Name Birkenau bezeichnet die Gemeinde Brzezinka (auf Deutsch Birkenau), die nahe der Stadt Oświęcim liegt (deutsch Auschwitz). Richters Name „Birkenau“ bezieht sich also auf das Vernichtungslager. Das Werk besteht aus vier großformatigen Bildern in Öl auf Leinwand, Richter schuf diesen Zyklus 2014. Das Besondere dabei ist, dass sich Richter für die Motive auf Fotografien von herausragender historischer Bedeutung bezieht: Vorlage sind nämlich vier Fotografien, die das Verbrennen von Leichen in Auschwitz und den Weg nackter Frauen in die Gaskammern zeigen. Diese vier unter Lebensgefahr heimlich aufgenommenen und später aus dem Lager geschmuggelten Fotos gelten als die weltweit einzigen fotografischen Dokumentationen des Holocaust in Auschwitz. Die Fotos entstanden 1944 und wurden höchstwahrscheinlich von dem griechischen Offizier Alberto Errera gemacht, der als Mitglied des Sonderkommandos in Auschwitz die Asche aus den Krematorien beseitigte. Die vier Fotos sind auf Wikipedia zu sehen.

 

Frage: Hängen wirklich Richter-Originale in der IJBS?
Antwort: Ja und nein. Es handelt sich um vom Künstler autorisierte Duplikate. Die vier ursprünglichen Originale des „Birkenau“-Zyklus sind derzeit in Berlin und bleiben dem Kunstmarkt entzogen. Das hat Richter, der „Birkenau“ als seine wichtigsten Werke bezeichnet, so festgelegt. Die Originale hängen aktuell in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Allerdings gibt es zwei weitere Fotoversionen von „Birkenau“ in Originalgröße, die Gerhard Richter autorisiert und zur Verwendung bestimmt hat. Eine Version hängt nun in der IJBS, die andere in der Eingangshalle des Berliner Reichstagsgebäudes. Dort ist auch Richters Installation „Schwarz, Rot, Gold“ zu sehen.

 

Frage: Was ist über Richters Gedanken zu „Birkenau“ bekannt?
Antwort: Andreas Kaernbach ist Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, wo Richters zweite autorisierte „Birkenau“-Fotoversion hängt. Kaernbach hat Richters Schaffen hinter „Birkenau“ so zusammengefasst:
„Gerhard Richter wurde wenige Jahre nach Kriegsende als Student auf der Dresdner Kunstakademie erstmals mit Dokumentarfotos aus den Konzentrationslagern konfrontiert. Es waren Bilder, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gingen. Er hat sich daher bereits früh in seinem künstlerischen Schaffen mit der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt – so im Jahr 1965 mit dem Porträtgemälde „Tante Marianne“. Richters Tante Marianne Schönfelder war noch in den letzten Wochen des Krieges Opfer des Euthanasie-Programms geworden. (…) Angesichts der fotografischen Dokumente aus dem Konzentrationslager Auschwitz sah Richter eine Grenze für die herkömmliche Art der Abbildung des Schrecklichen. Im Zyklus „Birkenau“ schlug er daher einen neuen Weg ein und übermalte die realistisch angefangenen Gemälde mit mehreren Farbschichten, die er wieder und wieder überarbeitete. Durch diesen Akt des Malens, wieder Abnehmens und wieder Auftragens werden die Motive der vier Fotografien weder verfremdet noch unter den Schichten abstrakter Malerei ausgelöscht. Im Gegenteil: So wie die Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte im kollektiven Gedächtnis eingebrannt sind, bleiben die Fotografien, gerade indem sie die Vorstellung des Schreckens evozieren, präsent und virulent – unter den Schichten der Farbe wie unter denen des Lebens und der Erinnerungen folgender Generationen.“

 

Frage: Wie schaut das Gebäude für die Richter-Bilder in der IJBS aus?
Antwort: Der Künstler hat das Gebäude nach seinen Vorstellungen speziell zur Präsentation des „Birkenau“-Zyklus entworfen. Der helle, rechteckige Bau lässt über Fenster auch von der Decke Licht einfallen. Im Innern hängen die vier Bilder an der einen langen Wand, genau gegenüber befindet sich ein abgedunkelter, riesiger Spiegel. In der Mitte laden Bänke ohne Lehnen zum Sitzen ein. Man kann direkt an die Bilder herantreten oder sie mit ein wenig Abstand, zum Beispiel auf den Bänken sitzend, betrachten. Dreht man sich um 180 Grad, erblickt man sich selber im Spiegel vor den Bildern. So entsteht im wahrsten Sinne des Wortes eine Selbstreflexion zu „Birkenau“ - unweit des historischen Holocaust-Tatorts und vor dem Werk eines internationalen Ausnahme-Künstlers dazu. Richter sagte 1962 einmal: „Sich ein Bild machen, eine Anschauung haben, macht uns zu Menschen.“ Dieses Zitat findet sich auch an einer der Wände in dem Ausstellungsgebäude. Ebenso sind dort die vier aus Auschwitz herausgeschmuggelten Fotos zu sehen, die Richter als Vorlage für „Birkenau“ dienten.

 

Frage: Was sagt Richter selber über „Birkenau“?
Antwort: Der Evangelische Pressedienst (epd) schreibt das Folgende:

Gerhard Richter sagte dem epd, für ihn sei die dauerhafte Ausstellung in Oswiecim »eine Auszeichnung, ein Trost und auch das Gefühl einer erledigten Aufgabe«. Es gebe noch viele andere Orte dieses Grauens, aber Auschwitz sei als Name zum Symbol für sie alle geworden und daran müsse erinnert werden.

 

Frage: Wer war bei der Eröffnung des Ausstellungsgebäudes dabei?
Antwort: Das neue Gebäude feierlich eröffnet hat Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) zusammen mit einer Gruppe internationaler Gäste. Bei dem Festakt in der IJBS dabei waren außerdem der Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), Marian Turski, der geschäftsführende IAK-Vizepräsident Christoph Heubner, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, und stellvertretend für den Volkswagen Konzern die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo.
Volkswagen und seine Belegschaft sind der IJBS seit Jahrzehnten eng verbunden mit zahlreichen Projekten rund um die Holocaust-Erinnerungskultur. Volkswagen hat den Bau des Richter-Ausstellungsgebäudes auf dem IJBS-Gelände entscheidend unterstützt. Die Eröffnungsfeier fand am Freitag, dem 09.Februar, statt. Der Tag war der 92. Geburtstag Gerhard Richters. Der Künstler hatte ursprünglich vor, in der IJBS mit dabei zu sein, musste aus gesundheitlichen Gründen aber absagen. Anwesend war jedoch seine Frau Sabine Moritz-Richter.
Die Tagesschau hat ein kleines Nachrichtenstück über die Eröffnung gesendet. Darin äußern sich auch die IAK-Präsidenten Turski und Heubner über Richters Werk. Das IAK hatte Richter Ende 2023 mit der „Gabe der Erinnerung“ ausgezeichnet - auch als Dank dafür, dass der Künstler seine „Birkenau“-Bilder der IJBS dauerhaft überlässt. Mehr über die IJBS und das Richter-Gebäude gibt es hier.

 

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Alle Fotos: Angela Kaspar, Ines Doberanzke-Milnikel