85 Jahre Reichspogromnacht

„Licht im Dunkeln“ – Vorstand und Betriebsrat setzen Zeichen gegen Antisemitismus

09.11.2023 | "Wir sind mehr und wir müssen lauter werden" - klare Kante gegen Hass

Wolfsburg/Bielsko-Biała – Der Volkswagen Konzern hat zum 85. Jahrestag des Pogroms vom 9. November 1938 ein Zeichen gegen Antisemitismus und für Frieden und Verständigung gesetzt. Am Donnerstag empfingen Vertreter von Konzernvorstand und Konzernbetriebsrat eine rund 30-köpfige Delegation. Sie bestand aus Auszubildenden der Standorte Wolfsburg und Kassel sowie Jugendlichen aus dem polnischen Bielsko-Biała, einer Partnerstadt Wolfsburgs. Die Gruppe hatte zuvor mit dem geschäftsführenden Vize-Vorsitzenden des Internationalen Auschwitz Komitees IAK, Christoph Heubner, die KZ-Gedenkstätte in Auschwitz besucht.

 

Für das Gruppenfoto zu dem Termin im Stammwerk hatten die jungen Menschen ein Plakat gestaltet. Aufschrift: „9. November 2023: Lauter werden! Gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen den Hass!“ Die Gruppe hatte sich zuvor bei ihrem mehrtägigen Treffen in Auschwitz intensiv mit den Wurzeln des historischen und aktuellen Antisemitismus sowie mit der Erinnerungskultur und Werten beschäftigt. Der Nachwuchs berichtete bei dem Treffen mit Konzernvorstand und Konzernbetriebsrat sehr persönlich über die Erfahrungen und die Arbeit bei der Unterstützung in der KZ-Gedenkstätte, von der die Gruppe kürzlich zurückgekehrt war.

 

Der Volkswagen Konzern – dessen historische Wurzeln im Dritten Reich liegen, dessen Stammwerk die Nazis gründeten und wo Zwangsarbeit in erheblichem Umfang stattfand – engagiert sich seit Jahrzehnten für Erinnerung und Verantwortung. So fahren seit mehr als 35 Jahren zunächst Tausende deutsche und polnische VW-Auszubildende nach Auschwitz und seit 2008 auch Hunderte Führungskräfte. Sie besuchen dort auf dem Gelände des ehemaligen nazi-deutschen Konzentrationslagers die KZ-Gedenkstätte und helfen bei den meist mehrere Tage dauernden Terminen auch vor Ort bei der Konservierung und Restaurierung.

 

Die sogenannte Reichspogromnacht des 9. Novembers 1938 gilt als entscheidendes Ereignis und flächendeckende Grenzüberschreitung der Nationalsozialisten auf ihrem Weg von der ab 1933 begonnenen systematischen Diskriminierung der Juden hin zum Holocaust. Bei den Pogromen ermordeten die Täter im Deutschen Reich Hunderte Jüdinnen und Juden, sie stürmen und zerstörten etwa 1400 religiöse Versammlungsräume, vor allem Synagogen, und verwüsteten Geschäfte, Wohnungen sowie jüdische Friedhöfe. Mindestens 30.000 Jüdinnen und Juden wurden bei den Vorgängen rund um den 9. November in Konzentrationslager verschleppt.

 

Bei dem Treffen mit der Delegation Jugendlicher im Stammwerk bedankte sich der Konzern Vorstandsvorsitzende Oliver Blume ausdrücklich bei den jungen Menschen: „Ihr übernehmt Verantwortung, steht für Werte ein und bezieht Position – für Menschenrechte und Frieden. Jeder Einzelne zählt, um sich kraftvoll dafür einzusetzen, bei uns im Land und weltweit.“ Oliver Blume berichtete auch von seinem eigenen ersten Besuch in Auschwitz im Januar dieses Jahres und stellte fest, dass er ganz ähnliche Eindrücke mitgenommen habe wie das, was die deutschen und polnischen Jugendlichen am Donnerstag in Wolfsburg schilderten.

 

Konzern-Personalvorstand Gunnar Kilian betonte: „Es ist beschämend, dass 85 Jahre nach dem Pogrom des 9. Novembers 1938 wieder verstärkt Verbrechen gegen unsere jüdischen Mitmenschen auch in unserem Land geschehen. Das muss zugleich für uns alle ein Auftrag sein, uns dieser Entwicklung entschlossen entgegenzustellen. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft tragen hierfür gemeinsam eine historische Verantwortung. Dass wir dieser gerecht werden können, dafür gibt mir auch das heutige Treffen in Wolfsburg, mit dem wir ein Zeichen gegen Antisemitismus und für Frieden und Verständigung setzen, wieder Hoffnung.“

 

Auch die Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo bedankte sich ausdrücklich bei den jungen Menschen aus der Delegation und sagte: „Wir sind mehr und wir müssen lauter werden. 85 Jahre nach den Pogromen von 1938 leben Jüdinnen und Juden in Deutschland heute wieder stärker in Verunsicherung und Angst. Sie erleben das auf der Straße, in Bus und Bahn oder im Verein. Deswegen ist für uns als Gesellschaft Antisemitismus unser aller Problem, hier und heute. Das Credo „Nie wieder!“ verpflichtet uns genau jetzt zum Handeln. Wir sind alle gefragt, Sicherheitsgefühl und Wohlergehen unserer jüdischen Mitmenschen im Alltag zu verteidigen.“

 

Christoph Heubner lobte mit Blick auf das Engagement Volkswagens in Auschwitz: „Das, was Sie bei Volkswagen seit Jahrzehnten machen, ist Licht im Dunkeln.“ Das hätten ihm Auschwitz-Überlebende erst wieder am Donnerstagmorgen bestätigt, als er mit ihnen telefonierte und vom anstehenden Termin in der Volkswagen-Zentrale berichtete. Heubner betonte mit Blick auf den Einsatz von Volkswagen: „Kein anderes Unternehmen nimmt eine solche Rolle ein. Diese wichtige Arbeit spiegelt sich hinein in die Belegschaft und in die Gesellschaft. Und das ist wichtiger denn je – denn das, was 85 Jahre zurückliegt, rückt wieder näher. Die Frage ist, wie zukünftig Juden, Muslime und Christen zusammenleben können – in Europa, im Nahen Osten und weltweit. Diese Frage treibt nicht zuletzt die Auschwitz-Überlebenden besonders um.“

 

Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, hatte sich kürzlich bestürzt über die aktuelle Sicherheitslage der Jüdinnen und Juden hierzulande geäußert. Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober bewege sich der Judenhass in Deutschland auf einem Negativrekord, den es so seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben habe. Die Amadeu Antonio Stiftung stellt als ein Fazit ihrer aktuellen Studie „Lagebild Antisemitismus“ fest, dass hierzulande israelbezogener Antisemitismus und Post-Shoah-Antisemitismus oftmals Hand in Hand gingen.

 

Laut einer aktuellen, repräsentativen Erhebung im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung lehnt zwar eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung antisemitische Aussagen entschieden ab. Die Zustimmung fällt insgesamt gering aus. Allerdings: Eine signifikant erhöhte Zustimmung findet sich in Teilbereichen der Bevölkerung, so zum Beispiel innerhalb der Anhängerschaft der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD).

 

Die Volkswagen AG und der Konzernbetriebsrat unterstützen seit vielen Jahren die Gedenkstättenarbeit und die Jugendbegegnungen im polnischen Oświęcim (deutsch: Auschwitz). Dazu zählt das gemeinsame Projekt „Auschwitz – Erinnern und Zukunft“ des Internationalen Auschwitz Komitees und des Volkswagen Konzerns. Es führte in den vergangenen rund 35 Jahren mehr als 3900 deutsche und polnische Auszubildende und Berufsschüler sowie Meisterinnen, Meister und weitere Führungskräfte aus dem Unternehmen in die KZ-Gedenkstätte. Zentraler Ort der Begegnung dabei ist auch die von Volkswagen geförderte Internationale Jugendbegegnungsstätte IJBS in Oświęcim – ein zentraler Baustein in den Initiativen, die maßgeblich vom Konzernbetriebsrat vorangetrieben sind.

 

(alle Fotos: (c) Kevin Nobs, VW-Betriebsrat)