Wende im Rechtsstreit

Richter: Betriebsratswahl im VW-Stammwerk bietet keinen Anlass für Kritik

30.08.2023 | Landesarbeitsgericht Niedersachsen kassiert Wahlanfechtung aus erster Instanz

Wolfsburg/Hannover – Erfolg in allen Punkten: Mit einem glasklaren Urteil hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen anfängliche Zweifel am Ablauf der jüngsten Betriebsratswahl im Volkswagen-Stammwerk ausgeräumt. Das Gericht in Hannover korrigierte am heutigen Mittwoch eine zuvor vom Arbeitsgericht Braunschweig getroffene Entscheidung. Jene erste Instanz hatte zwei Punkte rund um den Ablauf der im Frühling 2022 erfolgten Wahl kritisiert. Diese erste Ansicht des Gerichts in Braunschweig von vor rund einem Jahr ist nun mit dem Beschluss der höheren Instanz aus Hannover aufgehoben.

Damit steht in der rechtlichen Bewertung wieder fest: Bei der VW-Betriebsratswahl ging alles ordnungsgemäß zu, die Dinge liefen korrekt, professionell und fair ab - und der Wahlvorstand hat ganze Arbeit geleistet.

Die Betriebsratswahl bei Volkswagen am Standort Wolfsburg gilt als die größte betriebliche Wahl in ganz Deutschland. Jüngst waren rund 67.000 Menschen zur Wahl aufgerufen.

Die Wahlanfechtung angestrengt hatten neun wahlberechtigte Beschäftigte aus Wolfsburg, die bei der Betriebsratswahl 2022 um Sitze im Betriebsrat kandidiert hatten. Sie gehörten alle nicht der IG Metall-Liste an, die die Wahl mit rund 86 Prozent der Stimmen haushoch für sich entschied.

In erster Instanz des Anfechtungsverfahrens im vergangenem Sommer hatte das Arbeitsgericht einerseits den Zeitpunkt moniert, zu dem die Wahlberechtigten in einer Phase von Pandemie und Kurzarbeit ihre Unterlagen und Infos zur Wahl bekommen hatten. Andererseits bemängelte die erste Instanz Aspekte zum Umgang mit zurückgesandten Briefwahlunterlagen.

Der Betriebsrat hatte gegen die Entscheidung aus Braunschweig Beschwerde eingelegt und war damit vor das Landesarbeitsgericht in Hannover gezogen. Die Arbeitnehmervertretung hatte damals mitgeteilt, dass die Kritik des Arbeitsgerichtes nicht überzeugend sei. Dem schloss sich das Landesarbeitsgericht in seiner Überprüfung der ersten Instanz nun an. Die Kammer in Hannover unter Vorsitz des Richters Kunst beschäftigte sich mit allen Punkten aus der ersten Instanz, hob drei Punkte allerdings besonders intensiv hervor: Das Prozedere zum Festlegen der Briefwahl, die räumliche und personelle Situation in den Wahlvorstandsbüros sowie die Bemessungsgrundlage der 73 im Stammwerk zu vergebenen Betriebsratsmandate.

Zur detaillierten Aufklärung dieser Sachverhalte befragte das Landesarbeitsgericht auch zwei Zeugen aus dem damaligen Wahlvorstand. Die Kammer verhandelte von 11.00 bis 16.00 Uhr, was für einen solchen Kammertermin außergewöhnlich ausführlich ist. Der Termin in erster Instanz hatte nur einen Bruchteil dieser Zeit gedauert. Zum Schluss zog sich die Kammer am Mittwoch in Hannover - sie bestand wie üblich aus Vorsitz und zwei ehrenamtlichen Richter:innen - für rund eine Stunde zur Beratung zurück. Gegen 17.05 Uhr begann Richter Kunst dann, die Entschiedung zu verkünden. Er räumte dabei alle Kritikpunkte aus der ersten Instanz beiseite.

Zum Ausgang des Verfahrens teilte ein Sprecher des Wolfsburger Betriebsrates am Mittwoch mit: "Wir begrüßen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Das bestärkt uns in der Überzeugung, dass die Feststellungen der ersten Instanz aus Braunschweig fehlerhaft und vorschnell erfolgt waren. Diese Kritik am Ablauf der Wahl ist nun ausgeräumt. Die Kammer in Hannover hat sich in intensiver Prüfung davon überzeugt, dass unser Wahlvorstand an den fraglichen Punkten hoch professionell für eine vorbildlich organisierte Betriebsratswahl gesorgt hat.“

Eine Betriebsratswahl gerichtlich überprüfen lassen zu können, ist eine wichtige Errungenschaft für die Demokratie im Betrieb. Der Arbeitgeber muss die Kosten solcher Verfahren bezahlen, eine Anfechtung ist für die Anfechtenden also ohne persönliches finanzielles Risiko.

Nach dem Landesarbeitsgericht (LAG) könnte im vorliegenden Fall noch das Bundesarbeitsgericht (BAG) als höchste Instanz folgen. Eine entsprechende Rechtsbeschwerde zum BAG ist den Anfechtenden möglich.

Wichtig ist: Der laufende Rechtsstreit hat keine Auswirkung auf die Arbeit des weiterhin amtierenden Betriebsrates im VW-Stammwerk. Alle bisherigen und zukünftigen Handlungen und Beschlüsse der Arbeitnehmervertretung sind vollumfänglich wirksam, ohne irgendeinen Vorbehalt.

In Braunschweig wie jetzt auch in Hannover ging es nur um die Frage, ob die Wahl womöglich ungültig sein könnte und damit wiederholt werden müsste. Es ging nicht um die Frage einer sogenannten Nichtigkeit der Wahl - bei einer solchen Feststellung wäre der amtierende Betriebsrat nicht mehr im Amt.

Ob die neun Anfechtenden nun weitermarschieren zum BAG, bleibt abzuwarten. In ersten Reaktionen gegenüber der Presse ließen sie sich damit zitieren, die schriftliche Begründung zu der Entscheidung aus Hannover abwarten zu wollen. Diese dürfte den Verfahrensbeteiligten in den nächsten Wochen vorliegen. Neben den neun Anfechtenden sind an dem Verfahren beteiligt: der Betriebsrat und die Volkswagen AG als Arbeitgeber.