Aufkleber-Aktion mit Chanukkaleuchter

Betriebsrat, VKL und IG Metall gedenken der Holocaust-Opfer

27.01.2022 | VW-Betriebsrat, Vertrauenskörperleitung und die Geschäftsführung der IG Metall haben am 27. Januar, dem Tag der Auschwitz-Befreiung, der Opfer des Holocaust gedacht. Am Gedenkstein vor Eingang 2 an der Südstraße legten sie zusammen mit Konzernvorstand Gunnar Kilian und Werkleiter Dr. Rainer Fessel Kränze nieder.

Kranzniederlegung an der Südstraße (v.l.): Christian Matzedda, Flavio Benites, Dr. Rainer Fessel, Daniela Cavallo, Matthias Disterheft, Florian Hirsch, Gunnar Kilian und Gerardo Scarpino

Unternehmen und Beschäftigte beteiligen sich außerdem auf Social Media an dem bundesweiten Projekt #LichtZeigen und veröffentlichen Fotos eines Chanukkaleuchters. Damit setzen sie ein Signal gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Neben Volkswagen sind auch Vorstände und Beschäftigte von Borussia Dortmund, Daimler, Deutsche Bahn und Deutsche Bank dabei, aber zum Beispiel auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo sagt zu der Aktion: "Gerade mit unseren vielfältigen Aktivitäten rund um Erinnerung und Verantwortung zeigen wir unsere besondere Unternehmenskultur im Volkswagen-Konzern. Allein unser Auschwitz-Projekt mit VW Auszubildenden besteht nun schon seit über 30 Jahren. Bei einem solchen Engagement geht es immer auch um konkrete Initiativen und Taten im Alltag. Das Projekt #LichtZeigen ist eine klasse Aktion, gerade in Corona-Zeiten. Ich hoffe, dass viele mitmachen." Sie selber befestigte den Aufkleber an ihrem Golf.

Bei der Kranzniederlegung an der Südstraße ergriff Daniela kurz das Wort und mahnte - auch mit Blick auf die vorbildlichen Aktionen bei Volkswagen - an, Gedenken immer mit konkretem Handeln zu verknüpfen: "Wenn wir uns heute erinnern, darf es nicht nur um die Verbrechen und um das Leid von damals gehen. Uns muss auch klar sein, dass aus Erinnerung Verantwortung wachsen muss. Ein Gedenken wie hier heute darf nicht zu einem Automatismus werden, zu einer austauschbaren Pflichtübung."

Gunnar Kilian und Daniela Cavallo verabredeten, gemeinsam über die nächsten Schritte zu informieren.

Am Vortag hatte die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) bekanntgegeben, dass das Vor-Ort-Engagement für die Auschwitz-Projekte nach den Verzögerungen durch die Corona-Pandemie nun in 2022 wieder verstärkt wird. Mit Blick auf die bisherigen Einschränkungen wegen Corona sagte JAV-Vorsitzende Adriana Gilbo: "Umso glücklicher bin ich, dass sich der Bildungsausschuss des Gesamtbetriebsrates darauf geeinigt hat, dass es dieses Jahr wieder ein Engagement von Azubis in Auschwitz geben wird, wenn auch in etwas abgespeckter Form." Dafür hatte sich auch Gunnar Kilian stark gemacht.

Danielas kurze Rede vor dem Gedenkstein an der Südstraße ist am Fuß dieser Seite wiedergegeben.

In seinem Internetauftritt präsentiert der Konzern zum 27. Januar ein Interview mit der jüdischen Autorin und Journalistin Mirna Funk.

Die gemeinsame Pressemitteilung von Betriebsrat und Unternehmen steht hier.

Liebe Anwesende,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist mir ein Anliegen, hier heute ein paar Worte zu sagen. Vor fast genau 80 Jahren, am 20. Januar 1942, trafen sich hochrangige Vertreter der Nazis und SS-Behörden nahe Berlin zu dem, was wir heute als Wannsee-Konferenz kennen. Das Protokoll dieses Treffens ist zum Kriegsende der Vernichtung entgangen. Man kann es daher heutzutage im Internet nachlesen. Es hat 15 Seiten. Darauf steht der planerische Entwurf für den Holocaust: Es geht um Organisation, um Logistik, um Finanzierungsfragen. Es geht darum, dass der bisherigen Entrechtung und Vertreibung der Juden die sogenannte „Endlösung“ folgen sollte. Auf Seite 6 findet sich eine Tabelle. Sie nennt verschiedene Länder und addiert Zahlen. Am Fuß der Seite steht unter dem Strich: „Zusammen über 11 Millionen“. Über 11 Millionen.

Wir haben uns hier heute getroffen, und wir halten hier heute inne wie an jedem 27. Januar, damit das unfassbare Ergebnis dieser Wannsee-Konferenz nicht in Vergessenheit gerät. Als der Krieg gut drei Jahre später endete, hatte der Holocaust der Nazis Millionen getötet. Die Zahl der jüdischen Opfer lässt sich auch heute nur annäherungsweise schätzen. In der Forschung gilt es als gesichert, dass es mehr als die Hälfte der am Wannsee aufgelisteten 11 Millionen sind. Nämlich ungefähr 6 Millionen. Die Dimension des menschlichen Leids dahinter ist unbegreiflich. Das wissen alle, die über unsere Auschwitz-Projekte einen Eindruck von der Schoah erhalten haben.

Einer der Auschwitz-Überlebenden, der langjährige Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees Roman Kent, ist im vergangenen Jahr gestorben. 2015 hat er eine Rede gehalten zum 70. Jahrestag der Auschwitz- Befreiung. Daraus möchte ich zwei Passagen wiedergeben. Die erste lautet:

„Das herzzerreißende Weinen von Kindern, die brutal von ihren Folterern aus den Armen ihrer Mütter gerissen wurden, wird in meinen Ohren gellen bis zu dem Tag, wo ich meine letzte Ruhe finde. Ich frage mich immer wieder, ob die Schreie dieser jungen Menschen je das Tor zum Himmel durchbrochen haben.“

Und die zweite Passage lautet:

„Wir alle müssen erinnern! (…) Sich zu erinnern ist jedoch nicht genug. Taten! Taten sind genauso existenziell wie Gedanken.“

Roman Kent hat in seiner Rede noch etwas thematisiert, das ich an einem Tag wie heute besonders wichtig finde: 1,5 Millionen jüdische Kinder sind im Holocaust ermordet worden. „Genau wie die Generationen, die ihnen gefolgt wären“, heißt es in Kents Rede. Das macht mich sehr nachdenklich. Die Kinder, die in Auschwitz starben, hätten heute selber Kinder und Kindeskinder. 1,5 Millionen Menschen, von denen viele Kinder gehabt hätten, die dann auch wieder Kinder gehabt hätten.

Die Dimension von Auschwitz übersteigt so vieles. Wenn wir uns heute erinnern, darf es nicht nur um die Verbrechen und um das Leid von damals gehen. Uns muss auch klar sein, dass aus Erinnerung Verantwortung wachsen muss. Ein Gedenken wie hier heute darf nicht zu einem Automatismus werden, zu einer austauschbaren Pflichtübung. Und deswegen habe ich heute hier das Wort ergreifen wollen. „Taten. Taten sind genauso existenziell wie Gedanken“, hat Roman Kent uns mit auf den Weg gegeben. Lasst uns also Taten folgen! Für mich als Betriebsratsvorsitzende ist das etwas, was ich mir für meine Amtszeit fest vornehme. Unser Engagement für die Auschwitz-Projekte geht auf den Betriebsrat zurück. Und die Unternehmensseite hat das all die Jahre eng begleitet und tatkräftig unterstützt. Corona schränkt unsere Möglichkeiten nun seit rund zwei Jahren ein, vor Ort in Oswiecim zu sein. Und gleichzeitig werden die Auschwitz-Überlebenden, die für uns als Zeitzeugen noch Zeugnis ablegen können, immer weniger.

Ich bin überzeugt, daraus erwächst für Volkswagen eine neue Verpflichtung. Liebe Unternehmensvertreter, lieber Gunnar Kilian, lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir unter diesen neuen Vorzeichen etwas organisieren können. Etwas, das der Aufforderung von Roman Kent gerecht wird.

Wir haben die Strukturen dafür: Eine begeisterungsfähige und für das Thema sensible Belegschaft. Menschen wie Ines Doberanzke, Christoph Heubner und Volkswagen Heritage rund um unser Konzernarchiv, die mit ihren Netzwerken und mit ihren Teams sofort mitziehen würden. Einen Betriebsrat, der nach Kräften unterstützt. Einen Personalvorstand, Du lieber Gunnar, Träger der Gabe der Erinnerung, für den das Thema Erinnerung und Verantwortung eine Herzensangelegenheit ist. Und eine Unternehmensspitze, für die es wichtig ist, sich auch, aber nicht nur vor dem Hintergrund der Konzerngeschichte zu dem Thema zu bekennen.

Lasst es uns also angehen! Ich möchte nämlich, dass wir in Zukunft am 27. Januar auch auf unsere Taten schauen: Taten aus dem vergangenen Jahr und Taten, die wir uns für das neue Jahr neu vornehmen. „Taten sind genauso existenziell wie Gedanken.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!