18.02.2024 | Cavallo und Blume betonen: Weltoffenheit und Vielfalt unerlässliche Basis für Gesellschaft und Wirtschaft
Wolfsburg - Erstmals seit Beginn der in Deutschland beispiellosen Demo-Welle gegen Rechtsextremismus haben sich bei einer Kundgebung Spitzenvertreter von Konzernführung und Konzernbelegschaft gemeinsam zu Wort gemeldet. Für die Premiere sorgte Volkswagen am Sonntag in Wolfsburg bei der Demo "Für Demokratie und Zusammenhalt". Dazu aufgerufen hatten das Unternehmen, der Betriebsrat, die IG Metall und die Stadt zusammen mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis im "Schulterschluss der Wolfsburger Demokrat:innen". Nach ersten Angaben der Polizei versammelten sich zu der Großveranstaltung Sonntagmittag ab 11.30 Uhr mindestens 7000 Menschen in der Wolfsburger Innenstadt.
Mit Oliver Blume sprach zum ersten Mal der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Konzerns bei einer der Demonstrationen, die seit Mitte Januar von A wie Aachen bis Z wie Zwickau die ganze Republik erfasst haben. Nach seiner Rede auf dem Rathausplatz folgte die der Konzernbetriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo. Beide betonten: Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg sind die bei Volkswagen gelebten Konzernwerte wie Vielfalt, Weltoffenheit und Demokratie.
Oliver Blume unterstrich in seiner Rede drei zentrale Punkte. So sei die Ausgangslage derzeit zwar schwierig. Er nannte Erderwärmung, Inflation und globale Krisenherde, aber auch industriespezifische Herausforderungen, darunter die Transformation der Automobilindustrie. Allerdings halte Deutschland viele Trümpfe in der Hand, um die Dinge anzugehen: etwa hochqualifizierte und motivierte Beschäftigte, die duale Berufsausbildung, eine starke Hochschul- und Forschungslandschaft sowie den Erfindungsreichtum der Industrie.
Daher schlussfolgerte Blume: "In der aktuellen Lage müssen wir in Deutschland viel mehr in Chancen denken: Ärmel hochkrempeln, Probleme anpacken und sie lösen!" Deutschland brauche dringend einen umfassenden Masterplan, der Orientierung gebe und Perspektiven aufzeige. "Nicht klagen, sondern zuversichtlich nach vorn schauen. Das hat unser Land immer stark gemacht. Jetzt müssen wir uns auf die richtigen Themen konzentrieren und Tempo aufnehmen." Mit Blick auf den Rechtspopulismus warnte der Konzernchef: "Es geht mir ganz besonders um den Zusammenhalt unserer gesamten Gemeinschaft: Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, werden wir für unsere Kinder ein lebenswertes Land gestalten. Ausgrenzung ist hier fehl am Platz! Es geht darum, sich gegenseitig zu respektieren und zu unterstützen." Jeder Mensch habe seine Stärken. "Und wenn jeder seine Stärken einbringt, sind wir gemeinsam stark. Vielfalt, unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen sind hier besonders wertvoll. In ganz Deutschland gehen in diesen Wochen Menschen auf die Straße: für unsere Demokratie, für Freiheit und für unsere Werte - Toleranz, Menschenwürde, Weltoffenheit", betonte Blume und dankte den Demo-Teilnehmenden mit den Worten: "Heute setzen wir gemeinsam in Wolfsburg dieses Zeichen. Jede Bürgerin und jeder Bürger, der sich engagiert, der aufsteht, der Position bezieht, verdient eine große Anerkennung."
Auch Daniela Cavallo sprach davon, dass es darum gehe, gemeinsame Grundsätze zu verteidigen: "Wir zeigen klare Kante, wenn jemand meint, dass sich der Wert von Menschen an ihrem Pass ablesen ließe, dass unser Land auch ohne Zuwanderung funktionieren könnte, dass wir besser rasch die D-Mark zurückhaben sollten oder dass die Europäische Union uns doch nur Nachteile bringe." Viel Applaus erhielt die Betriebsratsvorsitzende für folgende persönliche Bemerkung mit Bezug zu Volkswagen: "Ich bin Italienerin und Deutsche. Und Wolfsburg ist meine Heimat, Niedersachsen ebenso. Ich bin hier in Deutschland geboren, als erste Generation in meiner Familie. Und solche Lebensläufe – in denen man deutsch ist mit Migrationsgeschichte und den deutschen Pass vielleicht erst später im Leben erhält – solche Lebensläufe gehören zu Deutschland wie der Golf zu Volkswagen, liebe Wolfsburgerinnen und Wolfsburger!"
Auch Daniela Cavallo bedankte sich bei den Teilnehmenden, deren Zeichen so wichtig sei. Mit Blick auf die Beschäftigten sagte sie: "Aus meinen vielen Gesprächen an unseren Standorten bei Volkswagen weiß ich: Es ist unserer Belegschaft ein großes Anliegen, dass unser Unternehmen hier heute ein Zeichen setzt. Der Volkswagen-Familie geht es um Folgendes: Auch unsere Kolleginnen und Kollegen stehen politisch auf einem breiten Feld. Das ist ganz normal und auch wichtig in einer Demokratie. Aber dieses Spielfeld, auf dem wir stehen, das hat klare Grenzen. Und wir haben uns heute hier in Wolfsburg versammelt, um diese Grenzen abzustecken! Das vereint uns nämlich. Wir stehen bunt verteilt über dieses ganze Feld. Aber: Wir wissen alle zusammen, wo es enden muss! Und uns eint auch die Gewissheit: Wenn wir einer lauten Minderheit zu lange Raum gewähren, dann machen wir uns kleiner und schwächer. Obwohl wir in der Mehrheit sind. Und wir laufen Gefahr, dass sich Dinge verschieben, wo sie nicht hingehören."
Die Demo in Wolfsburg reiht sich ein in eine Serie an Kundgebungen, die längst Millionen mobilisiert hat. Die Menschen zieht es auf die Straßen, seitdem das Recherche-Netzwerk Correctiv ein Geheimtreffen mit AfD-Beteiligung enthüllte, in dem die Teilnehmenden die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland planten.
Den Auftakt der Reden bei der Wolfsburger Kundgebung hatte Oberbürgermeister Dennis Weilmann (CDU) gemacht. Danach sprachen Blume und Cavallo. Für Volkswagen ergriff zudem Gianna Leo aus der Jugend- und Auszubildendenvertretung das Wort. Sie sagte unter anderem: "Wir müssen ohne Angst als Menschen unterschiedlich sein können. (...) Demokratie ist mehr als nur Wahlen – es geht auch darum, Respekt für die Meinungen anderer zu haben und für die Rechte aller Menschen einzutreten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion."
Weitere Redebeiträge gab es von Gulnisa Tursun und Julia Kujawski (Jugendforum Demokratie leben und Jugendbeirat), Flavio Benites (Erster Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg), Dr. Ulrich Lincoln und Mourthada Djemai (Organisationsteam des die Demo anmeldenden Schulterschlusses, sowie Mitglieder des Abrahamforums Wolfsburg) sowie von den politischen Jugendorganisationen (Grüne Jugend, Jusos, Julis, Junge Union und Falken). Für Musik zwischendrin sorgte If a bird e.V. aus Braunschweig. Die Moderation auf der Bühne übernahm Stadt-Dezernentin Iris Bothe.
Außerdem im Talk-Format mit Iris Bothe auf der Bühne: Die VfL-Profis Marina Hegering und Yannick Gerhardt.